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Ein gutes Frühstück muss jetzt her und ich gehe die Hauptstraße runter durch den Ort. Es ist gegen 10 Uhr und von dem Straßenfest von gestern ist fast nichts mehr zu sehen. Tische und Stühle und auch die Bühne sind größtenteils abgebaut und nur vereinzelt liegen noch einige zusammengekehrte Müllhaufen rum. Einige Leute sind noch mit Aufräumen und Saubermachen beschäftigt, aber das Leben geht weiter wie an einem ganz normalen Sonntagmorgen, als wäre gestern nichts gewesen.
Da hier oben in Armí kein Frühstück angeboten wird, gehe ich wieder ins Unterdorf nach Perachóri und frühstücke in einem kleinen Café unter Bäumen auf dem schönen Platz. Am Nebentisch sitzt ein junges Paar aus Deutschland und empfiehlt mir das Omelett mit Käse, was ich dann auch nehme und ok ist.
Zurück im Oberdorf gelange ich über eine steile Treppe auf einen größeren Platz mit einem Denkmal, das ich mir etwas genauer anschaue. In griechischer und deutscher Schrift ist hier der Wehrmachtsbefehl des deutschen Ober-Kommandeurs H. Müller in Stein gemeißelt, der während der Besatzung Kretas im 2. Weltkrieg wegen eines Partisanenaktes befahl, Anógia dem Erdboden gleich zu machen und alle männlichen Dorfbewohner, die sich zu diesem Zeitpunkt in Anógia und Umgebung aufhielten, zu erschießen. Die Namen der vielen Opfer sind hier ebenfalls verewigt.
Der Gedanke, dass irgendwelche braunen, uniformierten Horden einfach in ferne, friedliche Gegenden einfallen, die überwiegend von Ziegenhirten bewohnt werden und die mit der Weltpolitik nun wirklich nicht viel zu tun haben können, die Häuser zerstören und die Menschen massakrieren, ist ziemlich unerträglich.
Ich bekomme ein mulmiges Gefühl angesichts der Tatsache, dass ich gestern als Deutscher nur 70 Jahre später hier zu einem Dorffest eingeladen bin, unbekümmert mitfeiern darf und keinerlei Ressentiments erfahre. Auch wenn ich für diese Barbarei keine Mitverantwortung trage, schäme ich mich als Deutscher dafür und würde mich am liebsten bei den alten Männern, die am Rand des Platzes auf der Bank sitzen, entschuldigen.
Es war nicht das erste Mal, dass Anógia zerstört wurde (wie auch viele andere kretische Dörfer). Im 19. Jahrhundert waren es die türkischen Besatzer, die das Dorf sogar 2 Mal niederbrannten.
Dass sich aus der jahrhundertelangen, leidvollen Besatzungs-Geschichte Kretas ein starker Freiheits- und Widerstandsdrang entwickelte, ist nur allzu verständlich, und der traditionelle Waffenbesitz ist wohl u.a. auch darin begründet.
Ich kaufe mir noch 2 Flaschen Wasser und gehe zurück zu meinem Zimmer, um mein Daypack zu holen. Dann starte ich meinen Fußweg ins legendäre Zonianá, das Dorf mit eigenen Gesetzen, wo es angeblich mehr Waffen als Einwohner gibt, und die „Drogen-und Waffenbarone“ regieren. Das Hinweisschild am unteren Ortsausgang zeigt 5 km bis Zonianá, was in 1 Stunde zu schaffen sein muss. Ich gehe links die Straße entlang - es begegnen mir nur wenige Autos und sonst keine Menschenseele. Die Gegend ringsum ist leicht bewaldet und es gibt nichts Besonderes zu sehen. Nach gut einer dreiviertel Stunde komme ich an den Abzweig links nach Zonianá, noch 2 km.
Entfernungsangaben auf Wegweisern sind auf Kreta immer skeptisch zu betrachten – es kommt häufiger vor, dass z.B. 5 km angezeigt werden und dann nach ca. 5 km wieder 5 km angezeigt werden(kommt in Deutschland aber auch vor).
Nach einigen Metern geht auf der Straße nach Zonianá rechts ein Weg zu einer Taverne ab. Ich beschließe, dort ein Päuschen einzulegen. Nach ca. 50 Metern an einer langen, neu erstellten Natursteinmauer entlang komme zu der ebenfalls ziemlich neu wirkenden, in gelblichem Putz gehaltenen „Landtaverne“ mit überdachter Außenterrasse. Das gesamte Anwesen scheint neu angelegt zu sein und liegt sehr schön in einem Olivenwäldchen und ich sehe am Ende des staubigen Vorplatzes auf einer Anhöhe eine krippenähnliche Behausung unter Bäumen mit allerlei Getier. Hühner, Gänse, Schafe, Ziegen, Hütehund etc. wohnen hier in einer offensichtlich gut funktionierenden und friedlichen WG.
Ich setze mich auf die Terrasse an einen mit einer gelben Stofftischdecke gedeckten Tisch und rauche erst mal eine. Es ist absolute Totenstille und mein Kommen scheint noch niemand bemerkt zu haben, wenn überhaupt jemand da ist. Nach einigen Minuten stehe ich auf, gehe zu der verschlossenen Holz-Glastür und schaue in den großen, dunklen Gastraum. Ein kleiner Hund hat mich gesehen, kommt ohne einen Mukser zur Tür und läuft wieder in den hinteren Bereich. Komischer Hund. Ich setze mich wieder hin und nach wenigen Minuten kommt eine junge Frau heraus. Fifi hat ihr wohl Bescheid gesagt. Vermutlich habe ich sie aus Ihrem Mittagsschlaf geholt. Sie begrüßt mich aber freundlich und ich bestelle ein Bier, was sie mir auch umgehend zusammen mit dem üblichen Snack Tomaten, Oliven, Schafskäse, Wurst und dem harten, zwiebackähnlichen „Dakos“ serviert. Sie setzt sich zu mir und ist neugierig, was mich um Himmels Willen zu dieser Tageszeit auf Ihre Terrasse verschlägt. Englisch spricht sie nicht, und so unterhalten wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie erzählt mir, dass ihr Mann auswärts arbeite und jede freie Minute am Haus und den Außenanlagen arbeiten würde. Ihre Eltern seien erst kürzlich beide verstorben, was sie sehr traurig mache und ich erfahre, dass sie zzt. Ärger mit einem Gänsegeier habe, der ihr schon einige Gänse gerissen hätte.
Als ich zahlen möchte, stelle ich fest, dass ich zu wenig Kleingeld in der Tasche habe, um Speis´ und Trank und Trinkgeld zu bezahlen, und 50 Euro will oder kann sie nicht wechseln. Also lass ich die knapp 2 Euro liegen und der Rest geht mal wieder aufs Haus „Tipota!“ (macht nix, es ist Nichts).
Da ich heute außer Tavernenbesuchen zur Gewissensberuhigung auch mal eine politisch korrekte Dosis Kultur mitbekommen möchte, frage ich sie nach der im „Fohrer“ beschriebenen Tropfsteinhöhle, der „Sfendóni-Höhle“, und sie sagt mir, dass ich sie auf dem Weg nach Zonianá rechts oberhalb vom Ort sehen würde und es wäre nicht weit. Sie hätte jetzt auch geöffnet. Efkaristó pára poli! Andío!
Ich war in meinem Leben noch in keiner Tropfsteinhöhle. Bei der einzigen Gelegenheit auf einer Klassenfahrt nach Attendorn hatte ich mich mit einem Kumpel anderen schönen Dingen gewidmet und mich von der Truppe entfernt.
Die Straße nach Zonianá steigt ca 1-2 Kilometer leicht an und ich sehe oben rechts in der Ferne ein freistehendes, offensichtlich neu angelegtes Besucherzentrum am Fuss der Berge. Ich meine mich erinnern zu können, dass auch hier, wie an vielen anderen touristischen Sehenswürdigkeiten, ein großes Schild mit dem Hinweis stand, dass das Zentrum mit EU-Mitteln gefördert wurde. Man sieht diese Schilder überall auf Kreta, oft auch schon älter und demoliert, ohne Erkennbarkeit irgendeiner Verwirklichung der geplanten Projekte. An den fertiggestellten Projekten weht oft die griechische Flagge und die der EU.
Apropos Schilder: Mir fällt auf, das viele Straßenschilder relativ neu aussehen und die alten, meist durchlöcherten Schilder ersetzt haben. Es wird wohl nicht lange dauern, bis man wieder hindurchgucken kann, denn es ist ein beliebter Freizeitsport auf Kreta und insbesondere in dieser Gegend, Straßenschilder in jeglicher Form als Zielscheibe zu benutzen und zu durchschießen. Es gehört zum Landschaftsbild.
Hoch oben am Ortsanfang geht ein langer Weg rechts ab zu dem kleinen Gebäudekomplex mit Cafetería, Terrasse und Souvenirlädchen. Es stehen nur wenige Autos da und und es ist nicht viel los. Ich frage den Griechen an der Theke im Eingangsbereich nach dem Eintritt in die Höhle und er sagt mir, dass gerade im Moment eine Führung begänne. Er gibt mir ein Infoblatt, ich zahle 5 Euro für das Ticket und gehe draußen einige Natursteintreppen runter bis zum Höhleneingang. Hier wartet schon eine Gruppe von ca.10 Leuten. Der Führer bittet hinein und leitet uns über neu und gut angelegte Metall-Laufstege durch die ca. 3000 m² große Höhle mit 14 Innenräumen, die alle einen eigenen Namen haben. Hin und Wieder wird Halt gemacht und er erzählt einmal auf Englisch und einmal auf Griechisch einiges zur Entstehung und Geschichte der Höhle, die zwar nicht als größte, aber eine der schönsten auf Kreta gilt. Die feingliedrigen und bizarren Tropfsteinformationen, die über zigtausende Jahre entstanden sind, sind zum Teil angestrahlt in Szene gesetzt und könnten die ideale Kulisse für einen Fantasy-Film bilden. Mit gutem Willen lassen sich zufällig entstandene, lebendige Figuren und Gesichter erkennen. In einer Ecke unter dem Höhlengewölbe schaut ein bärtiges Gesicht herab und der Höhlenführer hat mit seiner Bemerkung, dass es Fidel Castro sei, der sich hier verewigt hätte, die Lacher auf seiner Seite. Wie oft mag er das schon gesagt haben, jedesmal mit der Gewissheit diesen Lacher zu platzieren. Ist ja in Ordnung, die Führung hat er professionell und gut gemacht und mein erster, aber wahrscheinlich einziger, Höhlentrip hat sich gelohnt.
Die Höhle wurde übrigens nach einem kretischen Widerstandskämper namens „Sfendóni“, benannt, der sich im 2. Weltkrieg hier versteckt haben soll.
Nach einer Stunde Abkühlung bin froh, wieder in der Sonne zu sein. Neben der Höhlenbesichtigungsempfangsstation hatte ich schon beim Kommen einen gepflegt angelegten Kräutergarten gesehen, den ich mir noch was näher anschaue. Die Kräuterbüschel sind alle mit Ihrer botanischen Bezeichnung versehen und ich rieche mich eine Weile durch, indem ich von jedem ein bisschen Blüte abknapse und zwischen den Fingerspitzen zerreble. Nur angucken wäre ja langweilig.
Ich bin noch immer auf der Suche nach einem Kraut, dessen ätherische Öle einen ähnlichen Duft verbreiten wie Cannabis Sativa. Fährt man auf Kreta mit offenem Fenster durch die Berge, dann kommt einem an manchen Stellen schonmal ein verdammt harziger Geruch in die Nase, der stark an die Hanfpflanze erinnert. Ich weiß noch immer nicht, ob es sich dann um eine versteckte Hanfplantage handelt, oder um eine ähnlich riechende Pflanze. Hab es bisher leider auch noch nicht geschafft, besonders wenn die Familie dabei war, mal bei der plötzlichen Wahrnehmung des Geruchs spontan anzuhalten und, immer der Nase nach, durch die Gegend zu streifen. Selbstverständlich rein aus wissenschaftlichem Interesse....
Leicht beschwingt von den sonnenverwöhnten, intensiv duftenden Kräutern, deren Namen ich zum Teil nicht kenne, mache ich mich auf in die Höhle des Löwen.
Die Hauptstraße windet sich abschüssig an den Wohnhäusern vorbei durch den Ort. Zonianá ist schon ein größeres, sehr langezogenes Dorf mit ein paar Tausend Einwohnern. Wie auch Anogiá ist es sogar im Besitz eines recht ordentlichen Fussballplatzes mit kleiner Tribüne, den ich unten in der Ferne am Rand des Dorfes erkennen kann. In besagter WDR-Reportage „Wunderschönes Kreta“ wurde hier das Interview mit dem Dorf-Popen geführt.
Ich gehe mitten auf der Straße. Es ist noch früh am Tag und wieder herrscht Friedhofsruhe. Rechts und links sehe ich einige einfache Kafeneíons, wo sich aber niemand aufhält. Vielleicht hat sich auch schon rumgesprochen, dass sich ein fremder Eindringling dem Dorf nähert und die Leute lauern schon, bis an die Zähne bewaffnet,hinter Fenster und Türen!
Alles Quatsch: I come in peace!
Unter der heißen Sonne muss ich an den 50er Jahre Western-Klassiker „High Noon“ denken, in dem Gary Cooper als einsamer Held und Kämpfer für Gerechtigkeit allein durch das Dorf in Richtung Showdown mit seinem Widersacher schreitet, den Colt zugbereit an seiner Seite. Keiner der Dorfbewohner hilft ihm, alle haben sich in Ihren Häusern verbarrikadiert, manche gucken nur angsterfüllt durch Fensterläden hindurch.
Er erledigt den Chef-Halunken am Ende im Duell und sein Mut und die Gerechtigkeit haben gesiegt. Nun kann er endlich mit seiner gerade angetrauten Liebsten (Grace Kelly) die Stadt verlassen, die er als Ex-Sheriff noch schnell von der Tyrannei der Verbrecherbande befreien mußte.
Die bekannte Filmmusik im Kopf, komme auf einen größeren Platz zum Zentrum des Dorfes, an dem sich auch ein kleines Wachsfiguren-Museum befindet. Ein älteres Paar sitzt davor und hofft auf Besucher. Ich würde ihnen ja gerne den Gefallen tun, aber ich habe mein Kulturpensum für heute erfüllt.
Der Platz wirkt wieder wie ausgestorben. Zum Duellieren ist auch niemand da. Ein paar Kinder mit Fahrrädern beäugen mich neugierig, und es gibt zwar einige Cafés, aber sie sehen, zumindest tagsüber, nicht sehr einladend aus und scheinen geschlossen zu sein. Ich biege rechts ab und komme nach wenigen Minuten auf einen weiteren, leicht abschüssigen Platz mit einigen Tavernen. Auf eine schöne Terrasse mit schattenspendenden Maulbeerbäumen am unteren Rand des Platzes setze ich mich mit dem Rücken an die Tavernenwand so hin, dass ich alles überblicken kann. Um die Ecke an dem Durchgangssträßchen sitzen 4 Jugendliche und spielen Karten. Mit ziemlichem Getöse, so wie es sich gehört. Von mir nehmen sie kaum Notiz, ich bin halt ein Touri.
Eine junge, vorsichtig ausgedrückt etwas unterbelichtet wirkende Kellnerin, kommt heraus und fragt mich, was ich wünsche. Ich bestelle ein Bier und sie fragt, ob ich nichts essen wolle. Ich verneine und sie bringt mir das Bier mit den obligatorischen Mesédes. Trinken, ohne Essen, geht auf Kreta garnicht.
In einer Taverne auf einer Terrasse zu sitzen und das alltägliche Leben zu beobachten bringt mir ehrlich gesagt mehr, als mich auf kunst-kultur-historischen Pfaden zu bewegen. Museumsbesuche ja, aber nur dosiert. Die geballte Menge an Kunstschätzen , von denen jeder einzelne so bedeutungsschwanger ist, das man sich eigentlich 3 Tage damit beschäftigen müßte, erzeugt bei mir oft ein Beklemmungsgefühl und ich muss wieder raus zum Luft holen. Es ist für mich seit je her wesentlich aufschlussreicher, mich unter Einheimische zu mischen und das aktuelle Leben und Denken der Leute in Echtzeit mitzubekommen, und da ist als Fremder die Kneipe nunmal der naheliegendste Ort.
Auch stundenlang in einer Strand-Taverne sitzen, mit Blick aufs Meer, ist eine meiner Lieblings-(Nicht-) Aktivitäten.
Auf der gegenüberliegenden Terrasse einer Taverne-Pizzeria sitzen einige einheimische Männer und gehen auch dem Nichtstun nach.
Ich sitze bestimmt 2 Stunden hier, lese zwischendurch im „Fohrer“ und die Kellnerin bringt mir immer wieder ungefragt einige Leckereien, insbesondere süße, kleine Trauben zu denen natürlich auch Rakí gehört. Sie will einfach nicht, dass ich möglicherweise mit knurrendem Magen hier sitze und nicht ordentlich versorgt bin.
Hin und wieder kommen Pickups vorbei und ich amüsiere mich über die Tatsache, dass es für kretische Jungs nichts Größeres gibt, als Auto oder Pickup zu fahren, und sie nur auf den Augenblick warten, dass sie, ohne Sitzkissen, so groß sind, dass sie über das Lenkrad schauen können.. Der gerade vorbeifuhr, war höchsten 12 und ist natürlich mächtig stolz, gesehen zu werden. Deshalb fährt er in kurzen Abständen gleich zweimal vorbei. Das ist aber kein regionales Phänomen sondern sieht man überall auf Kreta. Polizei gibt’s entweder nicht oder sie schaut weg.
In den Gebrauch von Waffen, insbesondere Schusswaffen, werden die Kinder traditionell hier auch schon früh eingeführt (Donald Trump lässt grüßen).
Es ist nicht lange her, dass die griechische Regierung Militärtruppen geschickt hat, um dem vermeintlich kriminellen Drogen-und Waffenhandel den Garaus zu machen. Der mediale Druck wurde wahrscheinlich zu groß. Ganz Zonianá hat sich ihnen entgegengestellt und es gab wohl eine Schießerei. Am Ende sind angeblich einige Zonianaer in Athen zu längeren Haftstrafen verurteilt worden.
Als ich aufbrechen will, habe ich eigentlich nur 2 Bier zu bezahlen, alles andere hatte ich ja nicht bestellt. Und sie will tatsächlich nur 4 Euro haben, was mir echt peinlich wäre. Gute Gelegenheit, meinen 50 Euro Schein quitt zu kriegen, 40 zurück, ine kalá. Efkaristó polí kai Sto Kaló!
Zeitgefühl kommt mir auf Kreta immer schon nach ein paar Tagen abhanden. Die Sonne steht schon tief und eigentlich würde ich ja gerne über einen alten Trampelpfad durch die schöne Landschaft zurückgehen, aber dafür ist es zu spät. Man verläuft sich schon bei Tag ziemlich leicht auf Kreta und ich müßte mich erstmal erkundigen, wo es lang geht. So gehe ich den Weg zurück durch den Ort, der mittlerweile deutlich belebter ist. In allen Kafeneíons sitzen Männer bei ihrem Ellinikó und der Fremde, der allein durchs Dorf streift, fällt natürlich auf. Ich müßte jetzt eigentlich am laufenden Band grüßen, aber um nicht den den Grüß-August abzugeben, schaue ich nur gelöst und gehe meines Weges hoch zum Ortsausgang.
Ich kann nicht unerwähnt lassen, dass vor einer Taverne schon wieder Massen von weißen Plastiktischen und -stühlen aufgebaut werden. Keine Ahnung, was hier schon wieder gefeiert wird. Jedenfalls bin ich heute nicht dabei.
Im oberen Teil des Ortes mache ich einen kleinen Schlenker zum Ortsrand mit Blick über das weite, landschaftlich abwechslungsreiche Tal. Es gäb bestimmt noch viel zu entdecken hier in Zonianá....
Zwei alte Frauen sitzen strickender und schwätzender Weise auf einem Betondach eines unfertigen Hauses. Ein typisches Bild. Hier ist natürlich Grüßen angesagt.
Ich gehe wieder in Richtung Ortsausgang über die Kreuzung auf die Straße nach Anógia.
Zufuss gehe ich jetzt nicht über die Straße zurück. Ich halte wieder den Daumen raus und es dauert nicht allzu lange, dass ein griechisches Paar mittleren Alters anhält. Sie kommen aus Zonianá und fahren nach Heráklion und können sie mich bis Anógia mitnehmen. Unterwegs der übliche Small-Talk und ich höre nicht zum ersten Mal, dass Kreta der schönste Teil der Welt sei.
Dem sollte man als Gast nie widersprechen-dem Kreter ist sein Haus, sein Dorf und seine Insel immer heilig.
Am unteren Ortseingang von Anógia lassen sie mich raus und ich gehe ins Unterdorf, um den Tag ausklingen zu lassen. Unterwegs fällt mir auf, dass ich meine Sonnenbrille auf der Rückbank des Autos hab liegen lassen, zum Glück nix teures.
Ich gehe natürlich in meine Stammtaverne mit dem Flammengrill und warte darauf, dass ich Hunger bekomme. Bis spät in der Nacht sitze ich hier, habe Wlan-Empfang, esse und trinke gemächlich und ausgedehnt, diesmal mit Genuss, natürlich Ziege und Schaf von Grill und alles Mögliche dazu. Der Appetit kommt manchmal beim Essen. Am Ende sieht mein Tisch aus, als hätte eine kleine Gesellschaft hier gesessen. Musste mal sein.
Ich gehe dann nur noch schlafen und morgen will ich hoch zur Nida-Ebene, meinem Freund Zeus einen Besuch abstatten.
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Die Dunkelheit bricht langsam an und es wird kühl. Also nehme ich meine letzte Chance auf Rückkehr war und gehe zurück ins Gasthaus. Dort sitzt mein Fahrer gemütlich mit der Wirtin am Tisch und isst. Ich begrüße sie nochmal und sage, dass ich nicht mehr wegkäme, da keine Menschenseele mehr vorbeikäme. Die beiden wundern sich offensichtlich auch darüber, der Junge sagt mir aber freundlich, dass es überhaupt kein Problem sei, mich wieder mit runter zu nehmen. Es würde nur noch ca. 1 Stunde dauern, sie hätten noch einiges zu erledigen. Für mich natürlich kein Problem. Efkaristó!
Der Junge stellt mir seine Mutter vor, namens Aréti, und sagt mir auch seinen Namen, den ich mittlerweile leider vergessen habe. Ich stelle mich ebenfalls vor und bin es bereits gewöhnt, dass die Griechen mit meinem Namen, Kurt, Probleme haben. Obwohl es die Lautfolge auch im Griechischen gibt, kommt es ihnen nur schwer von den Lippen. Manchmal fällt ihnen dann die englische Form leichter (wie bei Kurt Cobain), die sie dann aber eher wie „Kert“ als „Kört“ aussprechen. Wochen später in Lentas werde ich von ein paar Jungs in „Costas“ umgetauft, weil sie es mit meinem Namen satt sind und finden, Costas würde gut zu mir passen.
Ich setze mich an den Nebentisch, trinke noch einen Nescafé und wir beginnen, uns zu unterhalten. Die Mimik von Aréti erhellt sich mehr und mehr, obwohl sie noch immer ziemlich geschafft und müde aussieht. Sie taut jedenfalls auf und findet es gut, dass ich ein wenig Griechisch spreche, denn Englisch ist garnicht ihr Fall. Anders bei Ihrem Sohn, mit dem ich beides spreche. Zwischendurch hat er Einiges zu regeln, wie z.B. gefrorene Ziegenhälften ordentlich in Kühltruhen zu verstauen.
Ich kaufe noch ein kleines Stück Ziegenkäse und ein Fläschchen selbstgebrannten Rakí. Dann brechen wir auf. Alles wird dicht gemacht. Alle Lichter aus. Alles klar. Draußen in der Dunkelheit herrscht wie gehabt Totenstille, der Fiat 500 steht noch da. Der Junge bestätigt mir, dass die beiden Frauen Gipfelschläfer sein müssen. Ich steige hinten in den Kleinwagen ein und der Junge wirft erst mal eine CD mit kretischer Musik ein. Auf der Rückfahrt reden wir noch und er fragt mich, was ich von der Musik hielte und ob ich den Musiker „Vasílis Skoúlas“ kennen würde, den wir gerade hören. Den Namen kenne ich aus dem „Fohrer“ und habe ihn mir gemerkt, weil er das Museum seines verstorbenen Vaters „Alkibíades Skoúlas“, genannt „Griliós“ (die Grille) in Anógia weiterführt, der erst mit 70 Jahren angefangen hatte zu malen und vor wenigen Jahren mit weit über 90 gestorben ist.
Als ich dem Jungen den Namen „Alkibíades“ nenne, und dass mir die kretische Musik und das Lyra-Spiel gefielen, strahlt er übers ganze Gesicht. Und ich stelle wieder fest, dass nicht nur die Älteren, sondern auch die kretische Jugend ihre traditionelle Musik sehr schätzen.
Gerade Anógia ist ein Zentrum traditioneller kretischer Musik und die Brüder Nikos und Psárandonis Xiloúris sind als hervorragende Lyra-Spieler weit über die Grenzen Kretas hinaus bekannt. Níkos Xiloúris starb allerdings schon in jungen Jahren an Krebs, Psárandonis lebt noch.
Dann kommt die Frage, wo ich denn eigentlich wohnen würde in Anógia, und als ich „im Arcádia“ sage, kommt sofort: Bei Niki! Und, wen wundert´s, Níki ist die Tante von Aréti!
Sie lassen mich direkt vor der Tür raus, wünschen mir noch eine gute Reise und wir verabschieden uns herzlich.
Mein Abendessen findet heute auf meinem Zimmer statt. Die süßen Trauben, die mir Níki geschenkt hatte, stehen auf dem Tisch, dazu habe ich noch etwas Brot und den Ziegenkäse und zur Verdünnung noch eine halbe Flasche Retsína. Was will man mehr! Das geschenkte Zimt-Gebäck aus der Taverne werde ich noch 1 Woche im Rucksack haben. Es ist die absolute Notration, die ich aber selbstverständlich in allen Ehren halte.
Ich bin hundemüde und lege mich bald schlafen. Morgen stehe ich um 6 auf, denn um 7 geht der Bus nach Rethimnon. Von da aus in den Süden, langsam macht sich die Sehnsucht nach dem Lybischen Meer bemerkbar.
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Lýkos ist ein Ort mit antiker Bedeutung, wie eigentlich alle Orte, und besteht heute aus ein paar Häuschen mit einigen Gästezimmern, wahrscheinlich überwiegend für langjährige Stammgäste, die einzig und allein nur Ruhe wollen. Sehr familiär und die Touristenboote fahren größtenteils vorbei und gucken nur. Wer absolut abschalten will, ist hier gut aufgehoben.
Als ich durch die lose Häusergruppe durchgehe, alles sehr bunt und kinderfreundlich, sehe ich zwischen 2 Häusern rechts zum Meer hin eine größere Gruppe von Leuten unter Bäumen zum Essen sitzen. Wir grüßen uns und ich ziehe meines Weges.
Den Weg weiter Richtung Finix kann ich nicht erkennen, er muss irgendwo hinter den Häusern wieder steil hoch auf den Küstenpfad führen. Wieder der Nase nach, gehe ich einige Stufen hoch durch ein Haus, wo 4 schwarz gekleidete, total-vollbärtige und absolut urig aussehen Typen auf dem Innenhof an der Wand aufgereiht auf Ihren Stühlen sitzen. Offensichtlich das Kafeneíon der Eingeborenen. Ich habe keine Ahnung, wie oft das vorkommt, dass hier Wanderer nach dem Weg fragen, aber ich denke schon des Öfteren. Trotzdem kommen mir die 4 genauso verdutzt vor, wie ich ihnen. Die Männer weisen mir aber freundlich den Weg, der irgendwo hinter dem Haus hochführt. Ich gehe durch den seitlichen Torbogen um das Haus herum und ich muss fast wieder kraxeln, denn er führt am Anfang sehr steil und unwegsam auf den Küstenpfad nach Finix. Vielleicht habe ich auch den falschen Einstieg erwischt.
Von oben aus schaue ich nochmal zurück auf die Lýkos-Bucht. Ein schöner Platz, hoffentlich bleibt er noch lange so erhalten.
In weiteren ca. 25 Minuten erreiche ich Finix. Der Weg war nun etwas besser zu gehen, aber ich kriege verdammt müde Füße und fühle mich ziemlich kaputt. Das Einzige, was jetzt hilft, ist ein Bad im Meer.
Finix soll der Hafen des antiken Anópolis gewesen sein und ist auf den ersten Blick etwas beschaulicher als Lýcos. Ich komme über einen Hügel von hinten in den Ort rein, wo einige kleine Häuser im Grünen mit gewachsenem Baumbestand stehen. Nach einigen Metern erreiche ich die kleine und schmale Kiesbucht, an der sich nur 2-3 Menschen auf Liegen entspannen, halb im Schatten unter Bäumen, die von der Böschung überhängen. Ich werde kurz als unbekannter Eindringling registriert und gehe schnurstracks auf ein direkt vorne liegendes Holzboot zu, wo ich mich zeitlupenmäßig ausziehe, weil ich so kaputt bin. Die erlösende Erfrischung im Meer setzt aber wieder die Glückshormone frei. Ich schwimme etwas raus und schaue mir vom Wasser aus an, wo ich eigentlich bin. Eine kleine Natursteinmole, an der Boote anlegen können, führt vielleicht 15 m ins Meer rein, und begrenzt die kleine Badebucht. Wenige Meter oberhalb vom Strand liegt eine Taverne/Pension mit relativ großer, überdachter Außenterrasse. Es ist noch Ruhezeit, nichts bewegt sich.
Nach ausgiebigem Bad ziehe ich mich direkt wieder an und checke die Uhrzeit. Für ein Bier muss die Zeit reichen. Ich gehe die Stufen hoch und begrüße die Wirtsfamilie, die um einen Tisch herum sitzt. An der Brüstung über dem Meer setze ich mich hin und bestelle ein Bier. Die Taverne macht einen ziemlich gepflegten Eindruck, auf den Tischen liegen tie typisch blauweis-karierten Tischdecken und die typisch blauen, griechischen Stühle stehen ordentlich in Reih und Glied an den Tischen. Ich denke, dass hier mittags und vor allem abends Betrieb ist, und vielleicht auch einige Touristen von außerhalb hier herkommen-wie sie das auch immer schaffen mögen, denn eigentlich ist die Fínix-Bucht nur vom Meer aus zu erreichen.
Unten an der Mole legt gerade ein Mann mit seinem kleinen Außenborder Richtung Loutró ab. Er hätte mich bestimmt mitnehmen können, aber ich bin einfach zu träge, um irgendwelche Spontan-Aktionen zu unternehmen und ihn anzusprechen. Vielleicht habe ich auch einen kleinen Sonnenstich, denn auch zur Griechisch-Kommunikation mit der Wirtsfamilie bin ich kaum in der Lage. Es kommt nur Mist raus.
Alles in Allem gilt für Finix als Erholungsort das Gleiche wie für Lýcos. Ruhe und Entspannung pur.
Auf dem letzten Stück Weg mache ich zurückblickend noch ein Erinnerungsfoto von der Finix-Bucht und erreiche in knapp 30 Minuten Loutró. Diesmal komme ich von der westlichen Seite in das Touristenidyll rein. Der Zugang von den Felsen aus ist richtig gut ausgebaut, Natursteinwege mit Geländer und so. Wie es sich für ein Touristenzentrum gehört....
Mein Timing stimmt. Es dauert nur ca. eine Viertelstunde und die große Fähre der Anendyk-Lines legt an. Mit der Rückfahrt nach Chóra Sfakíon folgt die Wiederholung von vorgestern. Ich bin müde, aber zufrieden, dass ich nun den Küstenabschnitt zwischen Sfakiá und der Marmorbucht endlich kennengelernt habe und ich ihn vorerst auf meiner Agenda streichen kann. Vor allem hatte ich immer Finix im Kopf gehabt. Ein kleiner Wermutstropfen bleibt immer, denn man könnte alleine in dieser Gegend locker einige Wochen verbringen und sich noch Vieles anschauen. Die Hot-Spots sind jetzt jedenfalls gespeichert.
Am Abend gehe ich nur noch in meiner Haustaverne was essen und mache mit meinem Patron Jánnis die Verlängerung meines Zimmers um weitere 3 Nächte klar. Die brauche ich hier noch, denn ich habe beschlossen, endlich mal auf die Insel Gávdos zum südlichsten Punkt Europas rüberzuschippern. Wenn ich es jetzt nicht mache, dann wahrscheinlich nie mehr.
Ich esse und trinke bestimmt noch 2 Stunden und als ich bezahle, drücke ich dem Chef separat die 90 € für das Zimmer in die Hand, ohne Worte. Wir verstehen uns blind.
Das Aufstehen fällt schwer, und ich schleppe mich nur noch ins Bett. Morgen nur Strand.
3. Strandtag ( wie der erste und zweite, s.o.)
Anhang 93453
[I]3. Wandertag, Überfahrt nach Gávdos, zum südlichsten Punkt Europas, folgt[/I]
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