Lotte
26.May.2007, 01:33
In gut einer Woche geht es wieder auf " unsere " Insel und da ich hier in diesem Forum in der Vergangenheit sehr viele nützliche Tipps und Anregungen gefunden habe, möchte ich den vorerst " Daheimgebliebenen " etwas wiedergeben. Da dieser Reisebericht damals nicht zur Veröffentlichung gedacht war, fällt er dementsprechend " privat " aus. Ich beginne mal mit den ersten drei Tagen und wenn die Länge des Berichtes euch nicht ermüden sollte, folgen die weiteren Tage.
Gruß Lotte
Spätsommer auf Kreta
27. September bis 04. Oktober
Spröder Charme
Unser A 320 landete um 9 Uhr 20 Ortszeit in Heraklion und Bommel war erleichtert die LTU Maschine mit dem überdimensionalen Bayer Leverkusen Emblem verlassen zu können, denn im Gegensatz zu mir pflegen die meisten
FC – Anhänger eine gewisse Feindschaft zu diesem Bundesliga Verein. Umgekehrt gilt das ebenso. Leverkusen und Köln mögen sich also nicht sonderlich, zumindest fußballtechnisch betrachtet.
Uns empfing ein warmes und sonniges Wetter, wobei der typisch kretische Wind natürlich nicht fehlte.
Der Flughafenbus brachte uns zum Terminal. Anstatt den zum Gepäckband hastenden Massen zu folgen, rauchten wir vor dem Terminaleingang erst mal in Ruhe eine Zigarette im Freien und sogen neben dem Qualm die warme Luft in uns auf. Schön war es wieder hier zu sein. Auch wenn wir im letzten Mai in Chania gelandet waren, so fühlten wir doch, als wäre es erst gestern gewesen und die Örtlichkeit des Flughafens spielte keine Rolle; Kreta ist nun mal Kreta. Genau genommen war ich noch nie so entspannt eine Reise angetreten. Wie im Mai würde uns ein Angestellter von der Agentur erwarten, um uns unseren Mietwagen zu übergeben und wie im Mai würden wir uns garantiert bei der Suche nach unserer Unterkunft verfahren. Wer Kreta kennt, weiß, dass das so sicher war, wie der Wind auf dieser Insel bläst - mal mehr, mal weniger und nur sehr selten überhaupt nicht.
Der Mann von der Agentur schien es sehr eilig zu haben. Er bat uns an der Straßenecke zu warten, während er unseren Wagen, einen Fiat Seicento, vom Parkplatz holte. Es erfolgte eine kurze Einweisung, das Ausfüllen der Papiere und ein äußerlicher Check unsererseits. Es schien alles in Ordnung und nach dem Hinweis, dass der Tank so gut wie leer sei, es in der Nähe aber eine Tankstelle gäbe, war der freundliche und hektische Mensch wieder verschwunden. Okay, also auf zur nächsten Tankstelle. Bommel sorgte dann ganz schnell dafür, dass meine gewohnte Anspannung wieder auf dem Vormarsch war. Besorgt über die ständig blinkende Tankanzeige, erwog er auf der New Road eine Tankstelle auf der linken Seite anzusteuern. Und das vor einer Kurve und durchgezogenem Mittelstreifen. Vorbei war es mit meiner Sorglosigkeit und Ruhe. Ich kreischte auf wie eine Hippe und simulierte eine gewisse Kurzatmigkeit, was, wie immer, dazu führte, dass er brav weiterfuhr und auf eine Tankstelle auf unserer Straßenseite hoffte. Nicht ohne mir vorher das Versprechen abgenommen zu haben, dass wenn wir liegen bleiben würden, ich den kilometerlangen Marsch zur nächsten Tankstelle antreten würde. Überflüssig zu erwähnen, dass nach einem Kilometer auch auf unserer Seite eine Eko – Tankstelle begierig auf uns wartete.
Und so zockelten wir also mit vollem Tank die knapp 75 Kilometer nach Istro. Vorbei an wunderschöne Küstenabschnitte und herrlichen Gebirgslandschaften, durch Touristenhochburgen wie Malia und von weitem kleine Dörfer sehend, deren Idylle wir bereits im Mai im Westen schätzen gelernt hatten. Schon jetzt wären wir gerne mal nach links oder rechts abgebogen, aber mehr noch wollten wir unseren Koffer loswerden und unsere Unterkunft, die Kounenos Appartements in Istro beäugen. Trotz eines kleinen Staus in Malia erreichten wir in einer guten Stunde Istro. Nun galt es, die Agentur Minotours im Ort aufzusuchen, um die näheren Einzelheiten zu erfahren. Und schon hatten wir das, was wir auf Kreta am meisten fürchteten, aber auch am meisten belachten: wir kurvten drei Mal hin und her durch Istro. Trotz Fahranweisung des Agentur- Mitarbeiters vom Flughafen fanden wir das Büro einfach nicht. Zu guter Letzt fragte ich bei der Tankstelle nach und nach einem nochmaligen Hin und Her wurden wir dann fündig. Das Büro versteckte sich hinter dicken, fetten Bäumen.........
Wir erhielten das Appartement Nummer 5 und fanden dann die Anlage hoch oben auf einem Hügel außerhalb von Istro, ohne uns nochmal zu verfahren. Noch windiger, aber sehr warm und sonnig, empfing uns die Anlage, die einen sehr anheimelnden Eindruck machte. Den superschweren Koffer zunächst mal im Auto lassend, suchten wir unser Appartement auf. Wir folgten einem dicht mit Apfel- , Hibiskus- , Oleander - , Jasmin- und Gummibäumen bewachsenen kleinem Weg, vorbei an Appartement Nr. 1 bis 4 bis zu Appartement Nr. 5, welches sich am Ende des Weges befand. Ich spähte rechts an der Hauswand vorbei und sah schon von dort auf ein traumhaftes Panorama.
Wir hatten eine Maisonette gebucht, mit Balkon vom Schlafzimmer im oberen Stockwerk und einer Terrasse im unteren Stockwerk, wo sich der Wohnraum mit integrierter Küche und zwei weiteren Betten befand. Die Einrichtung war typisch kretisch. Zweckmäßig ausgestattet, viel weißes Mauerwerk, was durch diverse kretische Töpfer – und Webprodukte sehr nett dekoriert wurde. Die schönste Dekoration allerdings war ohnehin der Blick nach draußen. Da war das strahlende Blau des Meeres, unterbrochen von diversen Landzungen und kleinen Buchten, in der Ferne das Weiß von Agios Nikolaos und seitwärts die hohen Berge. Garniert wurde diese Traumkulisse von Olivenbäumen, Weinstöcken, einigen Palmen und den verschiedenartigsten Blütensträuchern, denen man jedoch den nahenden Herbst bereits ansah. Das Grün des Blattwerks war stellenweise nicht mehr so satt, bis hin zu den typisch erdigen Herbstfarben. Die Blüten waren eher spärlich, wirkten mitunter dadurch irgendwie trotzig, zumal sie sich auch vom sehr starken Wind durcheinanderschütteln ließen, gerade so, als würden sie mit ihm kämpfen.
Nun, ich war nicht ganz so windfest und nachdem wir unseren Koffer geholt und ausgepackt hatten, verzog ich mich in den Wohnraum und setzte mich für einige Minuten an das große Fenster und genoss von dort diese herrliche Aussicht.
Wir fühlten uns recht frisch und so zog es uns runter in den Ort. Wir parkten unseren Wagen kurz hinter dem Ortseingang und besichtigten den ersten Strand. Istro hat vier größere Badebuchten, die alle sehr ursprünglich wirken. Grober bis feinerer Kiesel, allenfalls mal hier oder da eine sogenannte Kantina. Die Kantinas sehen aus wie Imbisswagen und das Angebot an Getränke und kleinen Snacks ist ausreichend. Nur sehr wenige Touristen waren zu sehen, was uns natürlich sehr gut gefiel. Istro und auch die Strände wirken keinesfalls auf den typischen Strandurlauber sehr einladend. Vielleicht lag es an der Nebensaison, eher vielleicht daran, dass Istro sich dem Tourismus nicht gänzlich unterwirft. Hier ist der Strand einfach noch Strand und kein Halligalli – Ort. Im Dorf gibt es alles, was man zur Versorgung braucht, einschließlich einiger Tavernen. Kein Rummelplatz für Ballermänner und auch die üblichen touristischen Straßendekorationen fehlen gänzlich. Mir war so, als würde der Ort einen zwingen wollen, seine Augen auf das Wesentliche zu lenken. Er hatte seinen ganz eigenen Charme. Mit Nachdruck lenkte das Dorf von sich ab und führte die Sinne hin zu dem, was ich unter natürlicher Schönheit verstehe.
Natürlich dient das heutige Istro in erster Linie der Tourismusbranche, aber es scheint so, als würde es sich nicht verkaufen und vermittelt dadurch einen spröden Charme dem man gerne begegnet.
Das antike Istro übrigens, dessen Besiedelung bis ins 7. Jahrhundert v.Chr. reicht, lag wenige Kilometer weiter östlich, in der Gegend um Vrokastro.
Nach unserem Spaziergang besorgten wir in einem Minimarkt einige Lebensmittel für das Frühstück und Getränke. Wieder im Appartement angekommen, schliefen wir eine Stunde und gingen anschließend in die Taverne Kavos um zu Abend zu essen. Sehr nette Bedienung und sehr leckeres Essen.
Bei einem Glas Rotwein und einem prachtvollen Sternenhimmel planten wir dann auf unserer Terrasse den nächsten Tag. Es war immer noch sehr windig, so dass wir uns nach einer Stunde ins Innere des Appartements begaben und uns gegen Mitternacht schlafen legten.
Ruinen, Leid und Jetset
Der Wind hatte etwas nachgelassen und so frühstückten wir auf der Terrasse bei sommerlichen Temperaturen.
Heute ging es zunächst nach Kritsa; ein 3000 – Seelen- Ort in den Bergen oberhalb von Agios Nikolaos. Kritsa ist recht geschäftig, mit vielen Souvenirläden und Tavernen, aber dennoch idyllisch durch enge Sträßchen und weiße Häuser, die sich eng an einen Hang schmiegen.
Da uns nicht nach Shopping zumute war, fuhren wir nach einem kurzen Spaziergang zur Kirche Panagia i Kera, die sich knapp einen Kilometer außerhalb von Kritsa befindet. In der im 12. Jahrhundert erbauten Kirche befinden sich byzantinische Fresken aus dem 13. und 14. Jahrhundert, die auf Kreta als die am besten erhaltenden gelten. Die Kirche, malerisch von 6 hohen Zypressen „ bewacht „ , ist dreischiffig und wurde in drei Bauphasen errichtet. Das Mittelschiff stammt aus dem 12. Jahrhundert und die zwei Anbauten rechts und links aus dem 14. Jahrhundert.
Wir besichtigten den Innenraum der extrem klein wirkenden Kirche und ich war etwas enttäuscht von den Fresken, was aber sicherlich daran lag, dass ich diesbezüglich von Istanbul ziemlich verwöhnt bin. Zumindest machte das Innere einen behaglichen und sehr friedlichen Eindruck. Wirklich interessant waren die von außen angebrachten steinernden Stützbalken, die optisch der Kirche tatsächlich jegliche Höhe nahmen und somit eher den Eindruck eines Wohnhauses aufkommen ließen.
Wir entflohen kurz darauf einer kleinen, aber trotzdem lärmenden französischen Gruppe und fuhren weiter ins Gebirge hinein nach Lato. Hier erwartete uns eine dorische Stadtsiedlung aus dem 8. Jahrhundert v.Chr., die ab 1901 von einem französischen Team freigelegt wurde. Ob sich die Franzosen damals schon so geräuschvoll durch´s Leben bewegten wie heute, werde ich wohl nie erfahren. Jedenfalls haben sie gute Arbeit geleistet. Lato liegt an einem Hang, in die Höhe gebaut und zeigt sich malerisch auch durch Mandel - , Eichen – und Olivenbäume, viel Oleander und gut erhaltenen Grundmauern. Wir stiegen über alte Treppen hoch zur Agora, vorbei an den ehemaligen Häusern und Innenhöfen und schlenderten durch die Ruinen und suchten uns immer wieder einen Platz, an dem wir geistig die Vergangenheit in die Gegenwart transportieren konnten. Mit dem alten Gerippe einer Stadt vor Augen ist es etwas schwieriger Alltagsszenen realistisch zu sehen. Sicher, es geht, aber irgendwie sind die Bilder verwaschener - doch schön ist es allemal. Wir kletterten auf den für uns höchstmöglichen Punkt, ein bisschen neidisch auf die Bergziegen blickend, die unsere Kraxelbemühungen sicher belächelten, und konnten von dort in aller Ruhe und Muße diese Ausgrabungsstätte in uns aufnehmen.
Nach einiger Zeit trieb uns der Durst wieder runter und so fuhren wir auf eine Cola zurück nach Kritsa.
Wieder erfrischt ging es anschließend im frühen Nachmittagslicht an Agios Nikolaos vorbei nach Elounda.
Unser eigentliches Ziel war die Lepra – Insel von Spinalonga. Von Elounda aus fahren die Fährboote rüber zur Insel. Richtung Elounda bewegten wir uns in bester Stop- and- Go- Manier voran. Hinter jedem 2. Hügel ergibt sich ein anderes Panorama, eine neue Perspektive. Und immer meint man, dass die eine Aussicht die vorherige noch übertrifft. Der erste Blick, hoch oben von einem Hügel hinunter auf Elounda, war demnach auch atemberaubend und die kurze Durchfahrt durch den kleinen Ort ließ ihn uns etwas erkunden wollen.
Elounda ist eindeutig dem Tourismus verschrieben, wirkt aber sehr gemütlich und gediegen. Hier wohnt der Luxusurlauber, der hier offenbar mit Remmi-Demmi auch nicht viel am Hut hat.
Da unser Boot nach Spinalonga erst eine Stunde später ablegte, blieb uns noch etwas Zeit, die wir an der Promenade des Hafens in einem Cafe verbrachten. Anschließend setzten wir über. Die Fahrt dauerte eine knappe halbe Stunde und führte an der eigentlichen langgestreckten und unbewohnten Insel Spinalonga vorbei. Tatsächlich heißt die Lepra - Insel Kalidon und wirkt von weitem wie ein losgelöster Felsen der nördlichen Spitze Spinalongas. Kalidon wurde von den Venezianern 1579 zur Kontrolle des Golfs von Mirambellou genutzt. Sie erbauten dort ein Kastell und wurden von dort erst 1715 von den Türken in die Flucht geschlagen. Die Türken besiedelten diese kleine Felseninsel, errichteten ganz normale Wohnhäuser und lebten dort bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. König Georg von Griechenland beschloss dann 1903 Kalidon zu einer Lepra-Quarantäne-Insel zu machen. Aus ganz Griechenland wurden hierhin die Leprakranken umgesiedelt. Sie bezogen die Wohnhäuser der Türken, bauten weitere Häuser dazu und gingen ihrem Handwerk und ihren Fähigkeiten nach. Sie lebten bis auf wenige Jahre vollkommen isoliert und auf engem Raum und ihre Familienbande mussten sie somit aufgeben.
Doch unwillkürlich fragte ich mich, ob ihr Leben an sich hier wirklich so leidvoll war, dass man Kalidon auch die Insel der Tränen nannte. Was erwartete einen Lepra – Kranken in der freien Gesellschaft ? Er wurde meist geächtet, die Krankheit so gefürchtet, dass viele Familien ein erkranktes Familienmitglied versteckte.
Hier auf Kalidon war er unter Leidgenossen, die vermutlich respektvoller miteinander umgingen. Sie vegetierten nicht nur vor sich hin, sondern konnten sich auf der kleinen Insel frei bewegen und neben ihrer Arbeit auch sozialen Kontakten nachgehen. Nein, für mich ist Kalidon keine Insel der Tränen. Ich möchte an eine Insel der räumlich begrenzten Selbstbestimmung glauben. An eine Insel, auf der geliebt und gestritten wurde, wo Mitgefühl und kein Mitleid vorrangig war, wo es nichts zu verleugnen gab, aber vieles zu verstehen. Einfach eine Insel, auf der man seinen Schmerz und seine Freude leben durfte.
Kurz nach dem 2. Weltkrieg gab es neben Strom auch eine Desinfektionskammer, wodurch Besuche der Angehörigen möglich wurden. Ein 1950 entwickeltes Heilmittel gegen Lepra sorgte für den Rückgang der Erkrankungen und so wurde 1957 die Insel als Isolierstation aufgelöst.
Die Häuser auf Kalidon sind noch recht gut erhalten, ebenso die Gassen und das alte Kastell. Der Rundweg über die Insel verzauberte uns durch den immerwährenden Blick auf das blaue Meer, die Vegetation, die meist ockerfarbenen Ruinen, die Ruhe und Beschaulichkeit und den stillen Gedanken, denen man sich bei der Erinnerung an die Geschichte dieser Insel hingibt.
Bommel begann etwas nervös zu werden, weil wir an der Anlegestelle derzeit kein Boot mehr sahen und es schon recht spät am Nachmittag war. Die sonst für Touristen übliche eine Stunde hatten wir natürlich nicht eingehalten. Das letzte Boot ging laut Aussage des Bootsmenschen am Hafen von Elounda um 17Uhr30 zurück. So machte ich mir also keine Sorgen. Gerade am Anlegesteg angekommen, sahen wir ein Boot herantuckern und mit dem fuhren wir dann auch kurz nach 17 Uhr zurück.
In Elounda tranken wir am Hafen noch ein Bier und genossen das späte Nachmittagslicht. Der anschließende kurze Bummel durch den Ort überzeugte uns von der angenehmen Atmosphäre, die hier vorherrschte.
So ging dann auch dieser sonnige Tag zu Ende, den wir erneut in der Taverne Kavos mit einem leckeren Abendessen beschlossen.
Und später zeigte und erklärte mir Bommel auf unserer Terrasse bei Windstille und einem Rotwein den Andromeda – Nebel.
So schön kann der Herbst sein.......
Gruß Lotte
Spätsommer auf Kreta
27. September bis 04. Oktober
Spröder Charme
Unser A 320 landete um 9 Uhr 20 Ortszeit in Heraklion und Bommel war erleichtert die LTU Maschine mit dem überdimensionalen Bayer Leverkusen Emblem verlassen zu können, denn im Gegensatz zu mir pflegen die meisten
FC – Anhänger eine gewisse Feindschaft zu diesem Bundesliga Verein. Umgekehrt gilt das ebenso. Leverkusen und Köln mögen sich also nicht sonderlich, zumindest fußballtechnisch betrachtet.
Uns empfing ein warmes und sonniges Wetter, wobei der typisch kretische Wind natürlich nicht fehlte.
Der Flughafenbus brachte uns zum Terminal. Anstatt den zum Gepäckband hastenden Massen zu folgen, rauchten wir vor dem Terminaleingang erst mal in Ruhe eine Zigarette im Freien und sogen neben dem Qualm die warme Luft in uns auf. Schön war es wieder hier zu sein. Auch wenn wir im letzten Mai in Chania gelandet waren, so fühlten wir doch, als wäre es erst gestern gewesen und die Örtlichkeit des Flughafens spielte keine Rolle; Kreta ist nun mal Kreta. Genau genommen war ich noch nie so entspannt eine Reise angetreten. Wie im Mai würde uns ein Angestellter von der Agentur erwarten, um uns unseren Mietwagen zu übergeben und wie im Mai würden wir uns garantiert bei der Suche nach unserer Unterkunft verfahren. Wer Kreta kennt, weiß, dass das so sicher war, wie der Wind auf dieser Insel bläst - mal mehr, mal weniger und nur sehr selten überhaupt nicht.
Der Mann von der Agentur schien es sehr eilig zu haben. Er bat uns an der Straßenecke zu warten, während er unseren Wagen, einen Fiat Seicento, vom Parkplatz holte. Es erfolgte eine kurze Einweisung, das Ausfüllen der Papiere und ein äußerlicher Check unsererseits. Es schien alles in Ordnung und nach dem Hinweis, dass der Tank so gut wie leer sei, es in der Nähe aber eine Tankstelle gäbe, war der freundliche und hektische Mensch wieder verschwunden. Okay, also auf zur nächsten Tankstelle. Bommel sorgte dann ganz schnell dafür, dass meine gewohnte Anspannung wieder auf dem Vormarsch war. Besorgt über die ständig blinkende Tankanzeige, erwog er auf der New Road eine Tankstelle auf der linken Seite anzusteuern. Und das vor einer Kurve und durchgezogenem Mittelstreifen. Vorbei war es mit meiner Sorglosigkeit und Ruhe. Ich kreischte auf wie eine Hippe und simulierte eine gewisse Kurzatmigkeit, was, wie immer, dazu führte, dass er brav weiterfuhr und auf eine Tankstelle auf unserer Straßenseite hoffte. Nicht ohne mir vorher das Versprechen abgenommen zu haben, dass wenn wir liegen bleiben würden, ich den kilometerlangen Marsch zur nächsten Tankstelle antreten würde. Überflüssig zu erwähnen, dass nach einem Kilometer auch auf unserer Seite eine Eko – Tankstelle begierig auf uns wartete.
Und so zockelten wir also mit vollem Tank die knapp 75 Kilometer nach Istro. Vorbei an wunderschöne Küstenabschnitte und herrlichen Gebirgslandschaften, durch Touristenhochburgen wie Malia und von weitem kleine Dörfer sehend, deren Idylle wir bereits im Mai im Westen schätzen gelernt hatten. Schon jetzt wären wir gerne mal nach links oder rechts abgebogen, aber mehr noch wollten wir unseren Koffer loswerden und unsere Unterkunft, die Kounenos Appartements in Istro beäugen. Trotz eines kleinen Staus in Malia erreichten wir in einer guten Stunde Istro. Nun galt es, die Agentur Minotours im Ort aufzusuchen, um die näheren Einzelheiten zu erfahren. Und schon hatten wir das, was wir auf Kreta am meisten fürchteten, aber auch am meisten belachten: wir kurvten drei Mal hin und her durch Istro. Trotz Fahranweisung des Agentur- Mitarbeiters vom Flughafen fanden wir das Büro einfach nicht. Zu guter Letzt fragte ich bei der Tankstelle nach und nach einem nochmaligen Hin und Her wurden wir dann fündig. Das Büro versteckte sich hinter dicken, fetten Bäumen.........
Wir erhielten das Appartement Nummer 5 und fanden dann die Anlage hoch oben auf einem Hügel außerhalb von Istro, ohne uns nochmal zu verfahren. Noch windiger, aber sehr warm und sonnig, empfing uns die Anlage, die einen sehr anheimelnden Eindruck machte. Den superschweren Koffer zunächst mal im Auto lassend, suchten wir unser Appartement auf. Wir folgten einem dicht mit Apfel- , Hibiskus- , Oleander - , Jasmin- und Gummibäumen bewachsenen kleinem Weg, vorbei an Appartement Nr. 1 bis 4 bis zu Appartement Nr. 5, welches sich am Ende des Weges befand. Ich spähte rechts an der Hauswand vorbei und sah schon von dort auf ein traumhaftes Panorama.
Wir hatten eine Maisonette gebucht, mit Balkon vom Schlafzimmer im oberen Stockwerk und einer Terrasse im unteren Stockwerk, wo sich der Wohnraum mit integrierter Küche und zwei weiteren Betten befand. Die Einrichtung war typisch kretisch. Zweckmäßig ausgestattet, viel weißes Mauerwerk, was durch diverse kretische Töpfer – und Webprodukte sehr nett dekoriert wurde. Die schönste Dekoration allerdings war ohnehin der Blick nach draußen. Da war das strahlende Blau des Meeres, unterbrochen von diversen Landzungen und kleinen Buchten, in der Ferne das Weiß von Agios Nikolaos und seitwärts die hohen Berge. Garniert wurde diese Traumkulisse von Olivenbäumen, Weinstöcken, einigen Palmen und den verschiedenartigsten Blütensträuchern, denen man jedoch den nahenden Herbst bereits ansah. Das Grün des Blattwerks war stellenweise nicht mehr so satt, bis hin zu den typisch erdigen Herbstfarben. Die Blüten waren eher spärlich, wirkten mitunter dadurch irgendwie trotzig, zumal sie sich auch vom sehr starken Wind durcheinanderschütteln ließen, gerade so, als würden sie mit ihm kämpfen.
Nun, ich war nicht ganz so windfest und nachdem wir unseren Koffer geholt und ausgepackt hatten, verzog ich mich in den Wohnraum und setzte mich für einige Minuten an das große Fenster und genoss von dort diese herrliche Aussicht.
Wir fühlten uns recht frisch und so zog es uns runter in den Ort. Wir parkten unseren Wagen kurz hinter dem Ortseingang und besichtigten den ersten Strand. Istro hat vier größere Badebuchten, die alle sehr ursprünglich wirken. Grober bis feinerer Kiesel, allenfalls mal hier oder da eine sogenannte Kantina. Die Kantinas sehen aus wie Imbisswagen und das Angebot an Getränke und kleinen Snacks ist ausreichend. Nur sehr wenige Touristen waren zu sehen, was uns natürlich sehr gut gefiel. Istro und auch die Strände wirken keinesfalls auf den typischen Strandurlauber sehr einladend. Vielleicht lag es an der Nebensaison, eher vielleicht daran, dass Istro sich dem Tourismus nicht gänzlich unterwirft. Hier ist der Strand einfach noch Strand und kein Halligalli – Ort. Im Dorf gibt es alles, was man zur Versorgung braucht, einschließlich einiger Tavernen. Kein Rummelplatz für Ballermänner und auch die üblichen touristischen Straßendekorationen fehlen gänzlich. Mir war so, als würde der Ort einen zwingen wollen, seine Augen auf das Wesentliche zu lenken. Er hatte seinen ganz eigenen Charme. Mit Nachdruck lenkte das Dorf von sich ab und führte die Sinne hin zu dem, was ich unter natürlicher Schönheit verstehe.
Natürlich dient das heutige Istro in erster Linie der Tourismusbranche, aber es scheint so, als würde es sich nicht verkaufen und vermittelt dadurch einen spröden Charme dem man gerne begegnet.
Das antike Istro übrigens, dessen Besiedelung bis ins 7. Jahrhundert v.Chr. reicht, lag wenige Kilometer weiter östlich, in der Gegend um Vrokastro.
Nach unserem Spaziergang besorgten wir in einem Minimarkt einige Lebensmittel für das Frühstück und Getränke. Wieder im Appartement angekommen, schliefen wir eine Stunde und gingen anschließend in die Taverne Kavos um zu Abend zu essen. Sehr nette Bedienung und sehr leckeres Essen.
Bei einem Glas Rotwein und einem prachtvollen Sternenhimmel planten wir dann auf unserer Terrasse den nächsten Tag. Es war immer noch sehr windig, so dass wir uns nach einer Stunde ins Innere des Appartements begaben und uns gegen Mitternacht schlafen legten.
Ruinen, Leid und Jetset
Der Wind hatte etwas nachgelassen und so frühstückten wir auf der Terrasse bei sommerlichen Temperaturen.
Heute ging es zunächst nach Kritsa; ein 3000 – Seelen- Ort in den Bergen oberhalb von Agios Nikolaos. Kritsa ist recht geschäftig, mit vielen Souvenirläden und Tavernen, aber dennoch idyllisch durch enge Sträßchen und weiße Häuser, die sich eng an einen Hang schmiegen.
Da uns nicht nach Shopping zumute war, fuhren wir nach einem kurzen Spaziergang zur Kirche Panagia i Kera, die sich knapp einen Kilometer außerhalb von Kritsa befindet. In der im 12. Jahrhundert erbauten Kirche befinden sich byzantinische Fresken aus dem 13. und 14. Jahrhundert, die auf Kreta als die am besten erhaltenden gelten. Die Kirche, malerisch von 6 hohen Zypressen „ bewacht „ , ist dreischiffig und wurde in drei Bauphasen errichtet. Das Mittelschiff stammt aus dem 12. Jahrhundert und die zwei Anbauten rechts und links aus dem 14. Jahrhundert.
Wir besichtigten den Innenraum der extrem klein wirkenden Kirche und ich war etwas enttäuscht von den Fresken, was aber sicherlich daran lag, dass ich diesbezüglich von Istanbul ziemlich verwöhnt bin. Zumindest machte das Innere einen behaglichen und sehr friedlichen Eindruck. Wirklich interessant waren die von außen angebrachten steinernden Stützbalken, die optisch der Kirche tatsächlich jegliche Höhe nahmen und somit eher den Eindruck eines Wohnhauses aufkommen ließen.
Wir entflohen kurz darauf einer kleinen, aber trotzdem lärmenden französischen Gruppe und fuhren weiter ins Gebirge hinein nach Lato. Hier erwartete uns eine dorische Stadtsiedlung aus dem 8. Jahrhundert v.Chr., die ab 1901 von einem französischen Team freigelegt wurde. Ob sich die Franzosen damals schon so geräuschvoll durch´s Leben bewegten wie heute, werde ich wohl nie erfahren. Jedenfalls haben sie gute Arbeit geleistet. Lato liegt an einem Hang, in die Höhe gebaut und zeigt sich malerisch auch durch Mandel - , Eichen – und Olivenbäume, viel Oleander und gut erhaltenen Grundmauern. Wir stiegen über alte Treppen hoch zur Agora, vorbei an den ehemaligen Häusern und Innenhöfen und schlenderten durch die Ruinen und suchten uns immer wieder einen Platz, an dem wir geistig die Vergangenheit in die Gegenwart transportieren konnten. Mit dem alten Gerippe einer Stadt vor Augen ist es etwas schwieriger Alltagsszenen realistisch zu sehen. Sicher, es geht, aber irgendwie sind die Bilder verwaschener - doch schön ist es allemal. Wir kletterten auf den für uns höchstmöglichen Punkt, ein bisschen neidisch auf die Bergziegen blickend, die unsere Kraxelbemühungen sicher belächelten, und konnten von dort in aller Ruhe und Muße diese Ausgrabungsstätte in uns aufnehmen.
Nach einiger Zeit trieb uns der Durst wieder runter und so fuhren wir auf eine Cola zurück nach Kritsa.
Wieder erfrischt ging es anschließend im frühen Nachmittagslicht an Agios Nikolaos vorbei nach Elounda.
Unser eigentliches Ziel war die Lepra – Insel von Spinalonga. Von Elounda aus fahren die Fährboote rüber zur Insel. Richtung Elounda bewegten wir uns in bester Stop- and- Go- Manier voran. Hinter jedem 2. Hügel ergibt sich ein anderes Panorama, eine neue Perspektive. Und immer meint man, dass die eine Aussicht die vorherige noch übertrifft. Der erste Blick, hoch oben von einem Hügel hinunter auf Elounda, war demnach auch atemberaubend und die kurze Durchfahrt durch den kleinen Ort ließ ihn uns etwas erkunden wollen.
Elounda ist eindeutig dem Tourismus verschrieben, wirkt aber sehr gemütlich und gediegen. Hier wohnt der Luxusurlauber, der hier offenbar mit Remmi-Demmi auch nicht viel am Hut hat.
Da unser Boot nach Spinalonga erst eine Stunde später ablegte, blieb uns noch etwas Zeit, die wir an der Promenade des Hafens in einem Cafe verbrachten. Anschließend setzten wir über. Die Fahrt dauerte eine knappe halbe Stunde und führte an der eigentlichen langgestreckten und unbewohnten Insel Spinalonga vorbei. Tatsächlich heißt die Lepra - Insel Kalidon und wirkt von weitem wie ein losgelöster Felsen der nördlichen Spitze Spinalongas. Kalidon wurde von den Venezianern 1579 zur Kontrolle des Golfs von Mirambellou genutzt. Sie erbauten dort ein Kastell und wurden von dort erst 1715 von den Türken in die Flucht geschlagen. Die Türken besiedelten diese kleine Felseninsel, errichteten ganz normale Wohnhäuser und lebten dort bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. König Georg von Griechenland beschloss dann 1903 Kalidon zu einer Lepra-Quarantäne-Insel zu machen. Aus ganz Griechenland wurden hierhin die Leprakranken umgesiedelt. Sie bezogen die Wohnhäuser der Türken, bauten weitere Häuser dazu und gingen ihrem Handwerk und ihren Fähigkeiten nach. Sie lebten bis auf wenige Jahre vollkommen isoliert und auf engem Raum und ihre Familienbande mussten sie somit aufgeben.
Doch unwillkürlich fragte ich mich, ob ihr Leben an sich hier wirklich so leidvoll war, dass man Kalidon auch die Insel der Tränen nannte. Was erwartete einen Lepra – Kranken in der freien Gesellschaft ? Er wurde meist geächtet, die Krankheit so gefürchtet, dass viele Familien ein erkranktes Familienmitglied versteckte.
Hier auf Kalidon war er unter Leidgenossen, die vermutlich respektvoller miteinander umgingen. Sie vegetierten nicht nur vor sich hin, sondern konnten sich auf der kleinen Insel frei bewegen und neben ihrer Arbeit auch sozialen Kontakten nachgehen. Nein, für mich ist Kalidon keine Insel der Tränen. Ich möchte an eine Insel der räumlich begrenzten Selbstbestimmung glauben. An eine Insel, auf der geliebt und gestritten wurde, wo Mitgefühl und kein Mitleid vorrangig war, wo es nichts zu verleugnen gab, aber vieles zu verstehen. Einfach eine Insel, auf der man seinen Schmerz und seine Freude leben durfte.
Kurz nach dem 2. Weltkrieg gab es neben Strom auch eine Desinfektionskammer, wodurch Besuche der Angehörigen möglich wurden. Ein 1950 entwickeltes Heilmittel gegen Lepra sorgte für den Rückgang der Erkrankungen und so wurde 1957 die Insel als Isolierstation aufgelöst.
Die Häuser auf Kalidon sind noch recht gut erhalten, ebenso die Gassen und das alte Kastell. Der Rundweg über die Insel verzauberte uns durch den immerwährenden Blick auf das blaue Meer, die Vegetation, die meist ockerfarbenen Ruinen, die Ruhe und Beschaulichkeit und den stillen Gedanken, denen man sich bei der Erinnerung an die Geschichte dieser Insel hingibt.
Bommel begann etwas nervös zu werden, weil wir an der Anlegestelle derzeit kein Boot mehr sahen und es schon recht spät am Nachmittag war. Die sonst für Touristen übliche eine Stunde hatten wir natürlich nicht eingehalten. Das letzte Boot ging laut Aussage des Bootsmenschen am Hafen von Elounda um 17Uhr30 zurück. So machte ich mir also keine Sorgen. Gerade am Anlegesteg angekommen, sahen wir ein Boot herantuckern und mit dem fuhren wir dann auch kurz nach 17 Uhr zurück.
In Elounda tranken wir am Hafen noch ein Bier und genossen das späte Nachmittagslicht. Der anschließende kurze Bummel durch den Ort überzeugte uns von der angenehmen Atmosphäre, die hier vorherrschte.
So ging dann auch dieser sonnige Tag zu Ende, den wir erneut in der Taverne Kavos mit einem leckeren Abendessen beschlossen.
Und später zeigte und erklärte mir Bommel auf unserer Terrasse bei Windstille und einem Rotwein den Andromeda – Nebel.
So schön kann der Herbst sein.......