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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kreta-Erinnerungen 1976-1983



Kreta-Klaus
28.February.2008, 20:03
Hallo,
wie ich anderswo schon schrieb, rutschen mir die Jahre manchmal ein bisschen durcheinander. Außerdem habe ich eigentlich immer nur Erinnerungen an einzelne Episoden, so dass sich ein durchgängiger Reisebericht nicht lohnt.
Also gibt es das jetzt in mundgerechten Häppchen.

1. Ladung
Bousoukiunterricht für Kostaki
Kostaki war der kleine, elend dicke Sohn von Jannis aus Kokkinos Pyrgos. Heute ist nicht mehr klein, aber noch immer elend dick. Trotzdem hat er eine Frau gefunden und ist selber Vater …
Zurück in die Vergangenheit: Er hatte von irgendwoher ein Bousouki bekommen, auf dem er Tag und Nacht herumklimperte, allerdings ohne jeden Plan. Eines Tages hielten meine Nerven das nicht mehr aus und ich setzte mich zu ihm an den Tisch und brachte ihm die Melodien einiger einfacher griechischer Lieder bei. Da er natürlich von Noten keinen Schimmer hatte, schrieb ich ihm das Ganze nach dem Schema „Saite-Bund“ im Klartext auf.
Das begriff er erstaunlich schnell, übte wie ein Wilder und schon nach wenigen Tagen konnten wir ein paar Lieder zusammen spielen.
Wir übten also fast jeden Nachmittag, wenn es mir ohnehin zu heiß war, an den Strand zu gehen.
Und abends präsentierten wir das Erlernte gerne dem begeisterten Publikum. Da ich dazu auch noch sang, erfand Jannis folgende Geschichte:
„Das ist meine Sohn Nikos aus Deutschland. Ich gefahren auf Schiff und habe Mama kennen gelernt in Hamburg.“
Das erzählte er immer wieder und schmückte die Story jedes Mal prächtiger aus. Und der Witz war, dass die meisten ihm glaubten, auch die Einheimischen. Erst als mich eine Verwandte von Jannis mit Tränen in den Augen umarmte, weil sie einen neuen „Neffen“ kennen lernte, entschied ich, dass die Story allmählich ein Ende haben sollte. Ich bat Jannis, damit aufzuhören und innerhalb einiger Jahre geriet das Ganze allmählich in Vergessenheit …

„Du wollen Garides, kriegst du Garides“
1977 eröffnete schräg gegenüber von Jannis’ Lokal eine sehr gute Taverne, die von Kyriakos betrieben wurde. Kyriakos hatte eine Freundin, die als Tramperin nach Kreta gekommen war und sich in ihn verliebt hatte, Heidi aus Österreich.
Ich erzählte bereits, dass Jannis uns als sein persönliches Eigentum betrachtete und tödlich beleidigt gewesen wäre, wenn wir mal woanders gegessen hätten. Allerdings wurde Yvonne das Essen bei Jannis zu eintönig und so schlich sie sich heimlich abends hinten herum aus der Taverne heraus und zu Kyriakos und Heidi hinüber.
Das wiederholte sie noch ein paar Mal und irgendwann kriegte Jannis es spitz.
Erbost stellte er Yvonne zur Rede. Aber sie lieferte ihm eine plausible Begründung: „Janni, ich esse nun mal so wahnsinnig gerne Garides (Garnelen) und die gibt es bei dir doch nicht!“
Jannis ließ sich nicht anmerken, ob er mit der Begründung einverstanden war. Aber als wir am nächsten Abend wieder in seinem Lokal beisammen saßen, servierte er Yvonne plötzlich wortlos einen großen Teller mit Garides. Sie war überrascht, freute sich aber sehr und futterte alles auf.
Am nächsten Morgen servierte Jannis ihr statt eines Frühstückseis … Garides: „Du wollen Garides, kriegst du Garides.“
Mittags und abends das selbe Spiel. Und am nächsten Morgen wieder … Allmählich hingen nun auch Yvonne die Garides zum Hals heraus, aber Jannis beschied sie nur: „Ich haben 50 Kilo gekauft, jetzt du sie essen!“ Also machte sie tapfer weiter und ich half ihr ein bisschen dabei … bis wir hinter dem Haus zwei leere Pappkartons fanden. Als wir lasen, was darauf geschrieben stand, durfte Jannis die übrigen Garnelen an die Katzen verfüttern: „Fischköder aus Afrika!“

Wie wir auf einer Hochzeit versehentlich fast verhungerten
Eines Abends fuhren Jannis und seine Frau Stella auf die Hochzeit eines Verwandten nach Agia Paraskevi. Das heißt, ich fuhr, denn wir wurden kurzerhand mit eingeladen.
Der Bräutigam war der junge Pfarrer von Agia Paraskevi, ein vollbärtiger gut aussehender Mann.
Bis die Hochzeit begann, nahmen wir noch einen kleinen Aufwärmtrunk im örtlichen Kafenío zu uns. Ich wunderte mich ein wenig, dass hier an der Wand zwei Fotos des Junta-Generals Stylianos Pattakos hingen, den ich 1971 „kennen“ gelernt hatte und der inzwischen im Gefängnis saß. Ich fragte Jannis danach, aber der erklärte mir, Pattakos gehöre fast das ganze Dorf und er sei hier sehr beliebt, egal was für ein Verbrecher er sei.
Dann ging es zum Hochzeitshaus. Das ganze Dorf war eingeladen. Die eigentliche Hochzeit hatte schon stattgefunden und die Gäste saßen bereits an langen Tischen und tafelten. Jannis entdeckte einen Freund und verschwand, während Stelle uns an den Tischen mit den Leckereien vorbei zur Küche zog. Dort wies man uns zwei Stühle zu, gab uns Wein und kümmerte sich dann praktisch nicht mehr um uns, denn in der Küche herrschte ein geschäftiges Treiben. Acht bis zehn Frauen wuselten durcheinander und schleppten immer wieder Essen nach draußen.
Wir waren hungrig, denn wir hatten in „weiser“ Voraussicht nicht zu Mittag gegessen. Doch außer ein paar Apfelschnitzen wurde uns nichts angeboten. Wir saßen einfach dort und warteten, ohne zu wissen, auf was eigentlich, denn unsere griechischen Sprachkenntnisse waren noch bescheiden. Gefühlte 5 Stunden vergingen – vier waren es aber bestimmt – und der Hunger meldete sich immer stärker. Wir überlegten, ob wir nicht vielleicht ins Dorf gehen sollten, um irgend etwas zu essen zu finden … dann aber tat sich doch etwas. Die meisten Gäste draußen vor der Tür … wir konnten hinausschauen … brachen allmählich auf. Na, dann würde ja auch Jannis vielleicht nach Hause wollen, dann wir dort noch etwas essen.
Warum hatten wir uns das bloß angetan?
Plötzlich tauchte Stella auf und winkte uns zu, mitzukommen. Sie führte uns an den Rand der Terrasse, an dem ein Tisch stand, der gerade gedeckt wurde. Wir sollten Platz nehmen, zusammen mit knapp zwanzig anderen Personen. Und dann wurde aufgetischt, was Küche und Keller hergaben. Wir waren dem Hungertod knapp entronnen!
Ich fragte Jannis hinterher, warum wir denn erst so spät zum Essen gebeten wurden, und erfuhren, dass wir als seine Begleitung als Familienmitglieder eingestuft worden waren. Und die Familie aß eben erst dann gemütlich im kleinen Kreis, wenn das gemeine Volk weg war. Warum hatte er uns das nicht vorher gesagt? Wieder was gelernt …

Gruß Klaus

Bild 1: Die kleine Mole in Kokkinos Pyrgos
Bild 2: Klopapier im Wind
Bild 3: Wenn das Meer etwas bewegter ist, sollte man nicht auf der Molenmauer sitzen
Bild 4: Der Linienbus
Bild 5-7: Jannis macht Faxen
Bild 8+9: In der Psistaria in Mires

Manniki
28.February.2008, 21:36
Zum Glück seid ihr nicht verhungert sonst würde hier eine riesen Lücke klaffen.
Mach weiter so

renagigi
28.February.2008, 23:25
„Du wollen Garides, kriegst du Garides“
Na, da haben wir ja Glück gehabt, im April 1980 gab es bei Jannis eigentlich kein Essen außer Frühstück und Salat und wir konnten die Garides bei Kyriakos und Heidi genießen, vor allem gegrillt waren sie köstlich.

Eines Morgens verkündete Jannis allerdings, dass er heute kochen würde. Da blieb uns natürlich nichts anderes übrig. Es gab eine Art Fleischeintopf, ich denke es war Schwein, etwas undefinierbar, aber wir haben es überlebt und es hat sogar ganz gut geschmeckt. :laugh::smiley8:

TomTom
29.February.2008, 07:39
Nur weiter so.....:clap::clap::clap:

TomTom

Sabinara
29.February.2008, 12:42
Das war bis jetzt für mich das beste, was ich zu lesen bekam an historischen Erinnerungen.
Ich finde diese kurzen knappen, aber effektvollen Anekdoten ohnehin besser als die langatmigen Stories.

In der Küze liegt eben die Würze :clap:

Sollte mal ein Buch daraus werden, sollte es auf alle Fälle in dieser Form aufgebaut werden, wie du es jetzt begonnen hast :)


Schönes WE
Sabinara

charalambos
29.February.2008, 14:22
Tja Sabinara, dann erklär mir mal bitte wie man die anderen Stories ohne irgendeinen Zusammenhang wieso und weshalb und warum in eine Form bringen kann. Das Forum beinhaltet wie im Titel steht "Reiseberichte" und nicht Anekdoten aus Kreta.

Kreta-Klaus
29.February.2008, 16:32
Hallo Charalambe,
ich kann vielleicht sogar verstehen, dass Du empfindest, Sabinara wolle die anderen Berichte herabwürdigen. Ich verstehe das aber nicht so, denn erstens kenne ich Sabinara und zweitens hat sie sich doch auch zu anderen Berichten sehr positiv geäußert. Ansonsten müsste ich die "Herabwürdigung" ja auch auf mich beziehen. :biggthump

Aber das sind keine "Anekdoten" sondern auf meinen Kretareisen von mir selbst erlebt ... also gehört das schon in die Erinnerungen an das alte Kreta. Einen "roten Faden" im Sinne einer langen durchgängigen Erzählung kann ich aber schon deshalb nicht bieten, weil ich die Jahre nicht immer "zweifelsfrei" zuordnen kann. Bei allen Reisen vor 1976 hatte ich immer wechselnde Begleitung, danach aber immer Yvonne. Manchmal kann ich es an dem Auto zuordnen, mit dem wir unterwegs waren, aber eben nicht immer.
Übrigens, ich weiß gar nicht, ob ich dazu schon geäußert habe, wenn nicht: Ich finde Deinen Bericht aus 1980 sehr spannend und interessant zu lesen!
Gruß Klaus

Sabinara
3.March.2008, 08:47
Hallo, Charalambe,


es bezog sich nicht auf inhaltliche Werte, sondern lediglich darum, daß bei den kurzen Anekdoten eindach mehr "Pfeffer" enthalten ist und was hier im Forum ja auch schon diskutiert wurde, nicht jeder die Zeit hat, die gesamten Berichte zeitnah zu lesen.
Es ist daher angenehm für zwischendurch so eine Anekdote vorzufinden, als seitenlange Reiseberichte nicht aufgrund des Inhalts (ich betone es nochmals), sondern einfach daher, daß es manchmal auch ermüdend werden kann und das wäre schade, wenn der Schreiber(in) nicht die zugemessene Aufmerksamkeit erhält, die er verdient.


Klaus, danke :biggthump:Knuddel:

Schöne Woche

Sabinara

charalambos
3.March.2008, 09:01
Ist schon gut, Sabinara
War ja auch gar nicht so bös gemeint wie es vermutlich rüber kam.
Schönen Montag noch
Charalampos

Kreta-Klaus
24.February.2009, 20:15
Hallo,
nicht dass Ihr glaubt, ich hätte es vergessen. Hier werden noch mehr kurze Episoden erscheinen. Momentan bin ich aber sehr damit beschäftigt, meine Seite umzumodeln (auch die Berichte 1971 - 1977 von mir haben dort jetzt ihre endgültige Heimat gefunden). Selbstverständlich auch die anderer, die es wollten. Ich bin weiterhin für alles offen, finde es aber schön, wenn die Berichte erst hier erscheinen und erst dann in Kreta-Journal wandern.
Denn dort gibt es ja die Kommentare nicht mehr.
Gruß Klaus

Kreta-Klaus
23.March.2009, 14:53
Hallo,
hier ist mal wieder ein kleines Schmankerl:


Bei den Köhlern von Tsitsifés
Auch heute noch kann man sie riechen, wenn man von Vrýsses auf der alten Straße nach Kalýves fährt: Die Köhler von Tsitsifés. Allerdings sind es nicht sie persönlich, die man riecht, sondern ihre Meiler, die sie manchmal nicht weit von der Straße aufgebaut haben.
Irgendwann Anfang der Achtziger-Jahre besuchten wir sie zum ersten Mal.
Wir waren in diesem Jahr das erste Mal nach Athen geflogen, und hatten von Piräus aus wie so oft die Fähre nach Soúda genommen. Auf der nächtlichen Überfahrt lernten wir ein frisch verliebtes griechisches Pärchen kennen, die sich erst einige Tage zuvor selbst kennengelernt hatten. Er war von Beruf Schiffskoch, der vor Kurzem abgemustert hatte und nun mit seiner frischen Liebsten auf Kreta Urlaub machen wollte. Ich erinnere mich an ihren Beruf nicht, aber ich erinnere mich sehr gut, dass sie eine der hübschesten Griechinnen war, die ich getroffen habe. Aber erstens hatte ich ja meine Yvonne dabei und zweitens turtelten die beiden so offensichtlich … da ich ihre Namen natürlich nach etwa 30 Jahren natürlich vergessen habe, nennen wir sie mal Katerina und Makis …
Wir waren uns auf Anhieb sympathisch und auch die Verständigung klappte problemlos. Erstens sprachen sie beide Englisch und zweitens wurde unser Griechisch von Jahr zu Jahr ein bisschen besser. Da ich vorhatte, einen Jeep zu mieten, beschlossen wir ein paar Tage lang zusammen auf Tour zu gehen.
Wir mieteten uns in einer kleinen Pension am Dorfplatz von Georgioúpolis ein, um von hier aus einige Tagesausflüge zu unternehmen. Am zweiten Tag führen wir auf der erwähnten alten Straße Richtung Chaniá, als wir unweit der Abzweigung nach Néo Chorió die Köhler entdeckten. Das wollten wir uns alle vier gerne näher anschauen.
Die vier Männer machten gerade Pause und boten uns sogleich Rakí an, dem auch sie selbst kräftig zusprachen. Jemand hat mal behauptet, Griechen würden maximal zum Essen ein wenig Wein trinken. Diese Behauptung revidierte er später, nachdem er ein halbes Jahr auf Kreta verbracht hatte. Und Fischer und Köhler, die trinken gerne heftig.
Als die Köhler, die hier unter freiem Himmel kampierten, weil die Meiler auch nachts bewacht und gepflegt werden wollten, erfuhren, dass Makis Koch war, schlugen Sie uns vor, wir sollten doch abends wiederkommen und ein bisschen Fleisch etc. mitbringen. Für Wein und Rakí würden sie schon sorgen.
Wir fanden das eine nette Idee, so konnten wir unseren Chaniá-Besuch mit einem nahrhaften Einkauf in der dortigen Markthalle verbinden.
Am frühen Abend langten wir wieder bei den Köhlern an. Während Makis über dem Feuer mit der Zubereitung des Fleisches begann und die Damen einen riesigen Salat schnibbelten, fuhr ich mit einem der Männer in sein Heimatdorf, wo er zu Hause erkleckliche Getränkevorräte in den Jeep packte. Mir wurde klar, dass es wohl eine lange Nacht werden würde.
Und es wurde sogar eine sehr lange Nacht. Ich hatte ja auch die Gitarre dabei. Auch das Essen wurde ein voller Erfolg. Irgendwann wesentlich später nickte ich wohl für eine Weile ein und so bekam ich als Einziger nichts davon mit, dass unsere Gastgeber nicht nur viel tranken, sondern das Ganze auch durch einige Joints unterfütterten. Im Gegensatz zu den drei anderen bekam ich also keinen angeboten … und ich hätte natürlich auch dankend abgelehnt – ich musste ja noch fahren.

Wir besuchten die Köhler in den folgenden Jahren noch öfter (an wechselnden Plätzen). Im Laufe der Jahre richteten sie sich etwas bequemer ein. Sie schliefen nun beispielsweise nicht mehr auf dem Erdboden, sondern in richtigen Wohncontainern. Ganz so nett wie beim allersten Mal wurde es aber nicht mehr – vielleicht weil wir keinen Koch dabei hatten! Als wir die Strecke das letzte Mal 2005 fuhren, rochen wir zwar die Meiler, fanden die Köhler aber nicht. Meine Mitreisenden waren ein ganz klein wenig enttäuscht, denn ich hatte vorher davon erzählt …

Gruß Klaus

Kreta-Klaus
23.March.2009, 16:01
Und noch eins ...

Wie wir das erste Mal ein Zimmer mieteten
Wir waren mit meinem damaligen kleinen Sportwagen, einem Fiat 128 Coupé, auf Kreta unterwegs. Die Anreise über den Autoput durch Jugoslawien überstand Yvonne erstmalig ohne Valium und Schreckensschreie, nicht etwa weil ich so langsam fuhr, sondern weil die Überholvorgänge mit einem solchen Wagen problemloser waren als in den Jahren zuvor.
Auf Kreta machten wie es wie immer, wir schliefen am Strand. Es war in Georgioúpolis am Kaliváki-Strand, als wir nachts durch einen kräftigen Regenschauer aus dem Schlaf geschreckt wurden. Mit uns auch die anderen etwa 20 Strandschläfer. Da der Regen stärker wurde (es war April) verzogen wir uns alle fluchtartig unter das Vordach des "Arkádi", wo wir aber wortwörtlich "vom Regen in die Traufe kamen". Dieses Vordach war nämlich keineswegs dicht, es regnete an vielen Stellen fröhlich durch. Viel Platz hatten wir bei dieser großen Anzahl Schutzsuchender auch nicht, um den undichten Stellen zu entgehen … alles in allem war der Rest der Nacht sehr unerquicklich.
Da es auch am nächsten Morgen noch weiter regnete, brachen wir unsere Zelte (die wir leider nicht hatten) in Georgioúpolis ab und flüchteten aufs Geratewohl nach Westen bis Kolymbári. Hier regnete es momentan nicht, aber wir trauten dem Wettergott nicht länger und mieteten uns das erste Mal in einer kleinen Pension an der Hauptstraße ein. Sie hatte nur zwei bis drei Zimmer und war sehr einfach, aber es regnete jedenfalls nicht rein. Übrigens regnete es die nächsten Tage überhaupt nicht …
Die Wirtin war ein altes Mütterchen, die der Meinung war, die jungen Leute – wir – müssten doch ein wenig verwöhnt werden. Und so trug sie öfter etwas die schmale Außentreppe hoch: schmackhaftes Selbstgebackenes, Obst, Süßes vom Löffel. Wir fanden das sehr nett, bis sie uns am nächsten Morgen zwei Gläser mit warmer Ziegenmilch herauf brachte. Das war dann doch etwas zu viel des Guten. Da sie das aber am nächsten und übernächsten Morgen wiederholte und wir auf keinen Fall so unhöflich sein wollten, sie von ihrem Tun abzubringen, zogen wir lieber allmählich weiter. Als wir sie ein paar Jahre später mal kurz besuchen wollten, war die Pension geschlossen …


Wie uns ein trampender Papás verheiraten wollte
Es muss vor 1980 gewesen sein, denn wir waren noch nicht verheiratet … Wir fuhren von Kókkinos Pýrgos nach Mátala. Bei Festós stand ein Papás mit wallendem Bart an der Straße und machte deutliche Handzeichen, dass er mitwolle. Aber gerne, wie genossen nun schon so viele Jahre die Gastfreundschaft der Kreter, dass wir uns immer freuten, wenn wir ein ganz klein wenig zurückgeben konnten.
Yvonne schlüpfte also auf den Rücksitz unseres Peugeot und der Papás bekam den Ehrenplatz, den Beifahrersitz. Ich war kaum wieder angefahren, als er sich umdrehte und Yvonne aufmerksam musterte. Dann fragte er uns, ob wir verheiratet seien: "Είστε παντρεμένοι;" (Íste pantreméni?)
Wir antworteten wie aus einem Mund: "Όχι ακόμα!" (Óchi akóma – Noch nicht).
Er: "Μήπως θέλετε να σας παντέψω;" (Mípos thélete na sas pantrépso? – Möchtet Ihr vielleicht, dass ich euch verheirate?). Wir lehnten freundlich, aber doch entschieden ab.
Da machte er noch ein letztes Angebot: "Να μην ανησυχείτε για τα έξοδα. Θα το κάνω τζάμπα! Μόνο ένα καλό κρασί και ένα καλό φαϊ να έχει ..." (Na min anisichíte ja ta éxoda. Tha to káno tzá(m)ba. Móno éna kaló krasí ke éna koló faí na échi - Macht Euch keine Sorgen wegen der Kosten, ich mache das umsonst. Nur einen guten Wein und ein gutes Essen muss es geben).
Er ließ sich nicht von seinem Vorhaben ab, selbst als wir zu bedenken gaben, wie seien nicht orthodox. Das sei auch alles kein großes Problem, dann wollte er uns eben vorher taufen.
Nachdem er dann in Pitsídia ausstieg, lachten wir noch lange. Wir wissen bis heute noch immer nicht ganz genau, ob er es wirklich ernst gemeint hatte oder uns nur ein bisschen auf den Arm nehmen wollte.


Gruß Klaus

Kreta-Klaus
23.March.2009, 19:17
Und noch zwei ...

Von Mützen und Hähnen in Káto Zákros
Während unseres ersten Aufenthalts in Káto Zákros wohnten wir in dem damals noch voll in Betrieb befindlichen Lokal "Poseidon" von Maria Karantonis und ihrem Mann, einem ehemaligen Fischer. Dass er es mit den Gesetzen wohl nicht immer genau genommen hatte, erkannten wir daran, dass ihm eine Hand fehlte. Da war beim Dynamitfischen wohl mal etwas schief gegangen, auch wenn er es nicht zugab. Nach dem Tod ihres Mannes einige Jahre später gab Maria das Lokal auf und zog nach Áno Zákros hinauf. Sie vermietete weiter Zimmer, kam also täglich mal nach unten, um nach dem Rechten zu sehen. Doch davon will ich hier gar nicht erzählen …
Das "Poseidon" war recht gut von Einheimischen besucht, Touristen saßen in der Regel in den Tavernen unten am Strand (eigentlich fast nur Tagestouristen), denn außer im "Poseidon" gab es nur noch bei "Popi" Zimmer. Einen längeren Aufenthalt gönnten sich nur wenige.
Ich hatte mir kurz vorher eine abgrundtief hässliche grün-weiß-gestreifte Schirmmütze, über die sich Yvonne von der ersten Minute an mokierte. Eigentlich hatte ich ja eine richtige derbe griechische Fischermütze haben, aber da habe ich wohl in den falschen Läden gesucht.
Fast jeden Abend saß ein knorriger Fischer im "Poseidon", mit dem wir bald ins Gespräch kamen. Nach einigen gemeinsamen Gläsern Rakí machte sich Yvonne wieder mal über meine Mütze lustig. Der Fischer sprang mir zur Seite und meinte, was sie denn hätte, meine Mütze sei doch viel schöner als seine eigene – und dies war genau so eine, wie ich sie eigentlich hatte haben wollen. Übermütig schlug ich ihm spaßeshalber vor, wir könnten die Mützen ja tauschen. Jetzt fühlte er sich wohl bei seinem kretischen Wort genommen, denn überraschend war er einverstanden und die Mützen wechselten die Besitzer. Ich bin überzeugt, dass seine Frau hinlänglich entsetzt war, als er mit dem Monstrum auf dem Kopf nach Hause kam, aber er nicht darüber gesprochen und trug die Mütze in den nächsten Tagen verbissen. Irgendwann erschien er aber wieder mit einer richtigen Mütze …
Wir blieben fast zwei Wochen dort und hatten eigentlich nur Kontakt mit Einheimischen, wozu natürlich auch mein Gitarrenspiel nicht unerheblich beitrug. Es war für die Kreter wohl immer ein besonderes Erlebnis (auch in späteren Jahren noch), dass da ein Tourist griechische Lieder spielte und sang.
Eines Abends hatte Yvonne eine Begegnung mit einer besonderen "Spezies von Einheimischen". Nein, nicht, was der eine oder andere vielleicht denken mag … Sie ging auf die recht einfache Toilette des Lokals in Indien ("am Ende des Ganges", hahaha). Sie hatte kaum Platz genommen, als hinter der Toilettenschüssel laut gackernd einer der Hähne des Hauses hervor stob, der das Örtchen wohl als Schlafplatz gewählt hatte. Yvonne passierte nichts, aber der Schrecken war natürlich groß.
Als sie ins Lokal zurückkehrte, erzählte sie uns – sie konnte schon wieder lachen - und Maria von dem Vorkommnis. Am nächsten Morgen wurden wir von lautem Hühnergezeter wach. Ein Blick durch das Fenster zeigte uns, dass Maria gerade dabei war, den Hahn unter Einsatz eines Beiles einen Kopf kürzer zu machen. Zur Mittagszeit wurde er dann serviert und Yvonne sagte zu ihrem Teller: "Siehst du, das kommt davon, wenn man Touristinnen erschreckt!"
Aber ob es da tatsächlich einen Zusammenhang gab … das haben wir nicht erfahren.


Tenteren oder das "Übernachthaus"
In Kókkinos Pýrgos lernten wir auch Lefteris kennen (nicht den Alten aus Áno Méros), sondern einen ehemaligen "Gastarbeiter", der jahrelang in Ludwigshafen als Maurer gearbeitet hatte. So hörte sich sein Deutsch auch an!
Wenn wir abends beim Wein zusammen saßen, sagte er statt "Jámmas/Prost" gerne "Tenterén", wenn wir die Gläser erhoben. Ich fragte ihn einmal, was dieses Wort eigentlich bedeuten solle. "Na, das ist doch ein deutsches Wort, das sagt ihr doch dauernd!"
Ich war irritiert und hakte nach.
"Als ich das erste Mal in Deutschland ankam, da liefen vor dem Bahnhof Leute in bunten Kleidern herum und sangen "Choúmba choúmba tenterén." Uns liefen vor Lachen die Tränen herunter, dann haben wir ihn aufgeklärt.
Auch damals schon war in der Messará der Wildwuchs an schwarz gebauten Häusern erheblich. Eine Baugenehmigung hatte fast keiner. Lefteris erklärte uns, wie sie das anstellten: Sie bauten mit einer größeren Kolonne ein Haus förmlich "über Nacht". Abends, wenn auf den Straßen nichts mehr los war, rückten sie an, und zogen in der Nacht blitzschnell ein Häuschen mit einem oder zwei Räumen hoch – Fenster mussten noch nicht sein, Hauptsache, ein Dach war drauf. Ein "fertiges und "bewohnbares" Haus ließen die Behörden niemals wieder abreißen. Und morgens "wohnte" eben schon jemand drin.
Warum ich das erzähle? Weil ich ein paar Jahre später genau so etwas miterlebte.
Von Kyriakos' und Heidis Taverne habe ich ja andernorts schon erzählt. Sie hatte außereinem geschlossenen, zum Meer hin großzügig verglasten Gastraum auch eine Terrasse daneben. Wie ich später erfuhr, war dieses Grundstück nicht Kyriakos' Eigentum, sondern wurde von ihm nur genutzt.
Eines Nachts gegen zwei Uhr schloss Kyriakos das Lokal (wir waren die letzten Gäste, denn wir hatten uns inzwischen ziemlich angefreundet) und ging mit Heidi nach Hause, wir ins damals noch existierende Hotel "Brothers" …
Man wird es kaum glauben, aber bei der Vorgeschichte vielleicht schon ahnen: Als die beiden am nächsten Morgen kurz nach neun Uhr zu ihrem Lokal zurückkehrten, stand auf der Terrasse ein Haus (das die Terrasse völlig ausfüllte). Und in diesem Haus wohnte auch schon jemand: Lefteris.
Ich habe mal nachgeschaut: Die Hütte steht heute noch, ich weiß aber nicht, ob noch jemand und wenn ja wer darin wohnt.


Gruß Klaus

nimmi
23.March.2009, 23:42
Je mehr ich solche Geschichte lese, je mehr ich es bedaure daß ich meistenzeits (in die 80-er allerdings) so strandnah war. Bin mal wieder gestärkt Fortschritte mit die Gr. Sprache zu machen...
Übrigens, Klaus, das mit dem Vorschlag des Pfrarrers euch in die Heirat zu verbinden, du hast's doch selber geschrieben... wenn man ein Kreter zum Wort halt...

Grüße, Nimmi

Kreta-Klaus
24.March.2009, 09:29
Noch eins ...?

Mit einem (Citroen-)Pony kann man bis ins Lokal "reiten" (und sogar wieder raus)
Nachdem ich zwei Jahre einen (teuren) allradgetriebenen Jeep gemietet hatte, dessen Fahrkomfort auf regulären Straßen ich aber nicht sehr überzeugend fand, kam ich auf den Gedanken, es mal mit einem Citroen-Pony zu versuchen. Eine vollkommen primitive Karre auf Basis eine 2CV – nix drin, nix dran … so konnte auch nix kaputt gehen. Heute sieht man diese Kisten nicht mehr, aber damals waren sie dank der Bodenfreiheit der Ente auch auf schlechten Wegen recht tauglich und auf guten Straßen (ja, ein paar hab es schon) komfortabel wie diese.
Ich war alleine unten, Yvonne war irgendwo auf einer Weiterbildung oder so … und fuhr mal wieder ins "beschauliche" Kókkinos Pýrgos.
Wer Jannis' "Lokal" kannte, wird sich vielleicht erinnern, dass von der Straße drei Stufen drei Stufen auf die unter Straßenniveau liegende überdachte Terrasse führ(t)en. Eines Tages stach mich der Hafer. Während Jannis seinen üblichen Mittagsschlaf (mit dem Kopf auf den Armen an einem Tisch) hielt, räumten ein paar Helfer und ich so leise wie möglich einige Tische und Stühle zur Seite und einige dickere runde Steine auf die Stufen. Sodann ließ ich das Auto so leise wie möglich über diese "Rampe" ins Lokal rollen, direkt bis vor den Tisch, an dem Jannis schlief.
Als er später erwachte, war er bass erstaunt, dass da zwar kein "Pferd auf dem Flur", aber ein "Pony im Lokal" stand. Zwischenzeitlich überkamen mich leichte Zweifel, ob ich den Wagen auch wieder die Treppe hinauf bekommen würde. Doch da hatte ich das Pony unterschätzt: Mit Karacho ging es dann wieder im Rückwärtsgang hinauf, und zwar im ersten Anlauf! Feuerprobe bestanden, ich war stolz auf das Auto … und mich. Selbst Jannis, der sonst alles besser wusste, war gebührend beeindruckt. Und danach konnte kein Weg uns noch besonders beeindrucken, weder das Auto noch mich!


Gruß Klaus

Kreta-Klaus
24.March.2009, 12:46
Noch ein bisschen ...

Hausmusik beim Bürgermeister
Bei Jannis saß oft ein Mann mittleren Alters, der irgendwie nicht dorthin zu passen schien. Er war nicht besonders auffällig, aber doch sehr gepflegt gekleidet, verhielt sich meist recht zurückhaltend, auch wenn ihn alle zu kennen schienen … langer Rede kurzer Sinn, er wirkte irgendwie vollkommen anders als die manchmal etwas ungehobelt wirkenden Timbakioten.
Eines Abends kamen wir fast durch Zufall miteinander ins Gespräch, in dessen Verlauf wir erfuhren, dass er der Bürgermeister des kleinen Dörfchen Ágios Ioánnis im unteren Amárital war. Der Abend endete mit einer Einladung bei ihm zu Hause für den übernächsten Tag … seine Frau würde kochen.
Er hatte uns genau die Lage seines Hauses in Ágios Ioánnis beschrieben, sodass wir es ohne Probleme fanden – das war allerdings kein großes Kunststück, den das kleine Dorf in einem Seitental zwischen Psilorítis und Kédrosmassiv verfügte eigentlich nur über eine einzige Durchgangsstraße, an der das Haus direkt lag.
Wir wurden von ihm, seiner Frau und seinen vier kleinen Söhnen herzlich begrüßt. Ich weiß zwar nicht mehr, was es nach einem kurzen Rundgang durch das Dorf zu essen gab, aber es war so gut und reichlich, wie man es nur bei einer griechischen Hausfrau bekommt.
Die vier kleinen Jungs fanden uns sehr interessant, denn so oft verirrten sich Fremde wohl nicht in das kleine abgeschiedene Dorf. Wie abgeschieden das Dorf wirklich war und vermutlich noch ist, erfuhren wir im Laufe des Essens: Es gab in diesem Tal nicht einmal Fernsehempfang! Das tat aber der sehr gemütlichen Stimmung überhaupt keinen Abbruch, wir waren ja nicht zum Fernsehen hergekommen.
Nach dem Essen holte unser Gastgeber sein Laoúto und wir sangen gemeinsam kretische und griechische Lieder. Freundlich forderte er mich auf, es selbst einmal auf dem Laoúto zu probieren, was mir auch sicherlich nicht virtuos, aber zum allgemeinen Vergnügen einigermaßen gelang (ich hatte davor und habe danach nie wieder Laoúto gespielt – die Stimmung der Saiten ist ja anders als bei der Gitarre, aber ein paar Melodien bekam ich schon hin.
Es wurde natürlich nicht so spät wie an manchem anderen Abend auf Kreta, da die Jungs irgendwann ins Bett mussten und wir auch die Gastfreundschaft nicht zu sehr beanspruchen wollten. Aber auch unsere Gastgeber bedankten sich sehr für unser Kommen, denn so gab es auch in ihrem dörflichen Leben mal eine kleine Abwechslung.


Das Hotel "Brothers"
Hinter Jannis' Lokal in Kókkinos Pýrgos stand über viele Jahre hinweg ein großes zweistöckiges Betonskelett, an dem offensichtlich nicht weiter gebaut wurde. Das hatte die üblichen Ursachen: Man hatte zwar die Betonpfeiler und Decken fertig gestellt, aber dann fehlte entweder das Geld oder die Zeit, weiter zu machen … wie gesagt, kein Einzelfall auf Kreta. Wir benutzten diesen Rohbau gerne als Schlafplatz, denn so hatte man morgens Schatten und konnte ausschlafen.
Doch dann kam das Jahr der großen Überraschung: Wir fuhren nach Kókkinos Pýrgos hinein und entdeckten, dass der öde Rohbau sich über den Winter in ein schmuckes Haus verwandelt hatte, das Hotel "Brothers". Und nun erfuhren wir auch, wem Grundstück und Haus gehörten, denn die "Brothers" Jorgos und Antonis hatten wir vorher schon häufig bei Jannis getroffen (aber die Zusammenhänge nicht gekannt). Wir dachten uns, dass wir uns den Luxus mal erlauben sollten und unter dem altbekannten Dach ein Zimmer nehmen würden.
Im Hotel trafen wir nur Antonis an, der uns erzählte, wie er und sein Bruder die Sache mit dem Hotel geregelt hatten: Jeweils ein Jahr führte der eine Bruder mit seiner Frau das Jahr, während der andere die Gewächshäuser ringsum (!) bewirtschaftete – und im nächsten Jahr wurden die Rollen vertauscht.
In den Folgejahren wohnten wir immer in diesem Hotel, wenn wir in Kókkinos Pýrgos waren (auch als wir das erste Mal mit unserem kleinen Sohn dort waren, aber das ist eine andere Geschichte). Leider merkten wir aber auch im Laufe der Jahre, dass das Hotel tatsächlich ohne großes Augenmerk auf gute Bausubstanz hochgezogen worden war – Türen und Fenster klemmten schon im zweiten Jahr.
Irgendwann zerstritten sich die Brüder und das Hotel wurde nicht mehr bewirtschaftet. Und im Jahr drauf wurde es dann als Freudenhaus benutzt … es war das erste, aber im Laufe der Zeit längst nicht das letzte Bordell in Kókkinos Pýrgos. Jannis' Tochter, die an der Taverne ein Kiosk betrieb, machte einen Riesenumsatz mit Kondomen … irgendwann sagte sie mir mal augenzwinkernd, als ich auf eine kurze Stippvisite vorbeikam, ich sollte doch einfach bei ihr sitzen bleiben, die "Damen" kämen öfter was kaufen: "Wenn sie dich sehen, darfst du bestimmt umsonst." Ich habe es nicht ausprobiert …


"Polý polý" am Megalopotamós
In der "guten alten Zeit" war es noch sehr einsam und ruhig an der Mündung des Megalopotamós, dem Palmenstrand von Préveli. Dort kampierten immer mal einige wenige "Aussteiger" auf Zeit und sonst war da gar nichts. "Bewirtschaftet" wurde der Strand damals allerdings auch schon. Morgens kam der alte Barba Jorgos mit seinem Esel den Berg herunter und brachte Limonade, Cola, Bier und Wein mit. Die Flaschen kühlte er im Fluss und verkaufte sie an einer Hütte, die er aus Steinbrocken aufgeschichtet und mit einem Dach aus Palmwedeln versehen hatte.
Da das Nacktbaden in der Bucht damals üblich war – es gab niemanden, den es störte und der es kontrollierte – schlug mit der Zeit die Sonne und der Anblick weiblicher Nacktheit Barba Jorgos wohl ein wenig aufs Gehirn, wie an anderer Stelle schon erzählt. Aber um Barba Jorgos soll es hier gar nicht gehen.
Wir blieben ein paar Tage in der Bucht, genug zu essen und zu trinken hatten wir mitgenommen. Mit uns waren auch zwei junge, große und athletisch gebaute Männer aus Deutschland am Strand, die wie alle anderen nackt badeten. Ich will es mal so ausdrücken, sie beiden waren in jeder Hinsicht groß und gut gebaut (nicht, dass mich das besonders interessiert hätte).
Zwei einheimische Frauen, die sich irgendwann an den Strand verirrt hatten, interessierte es aber umso mehr. Sie liefen mehrfach den Strand auf und ab, immer wieder dicht an den beiden vorbei, die entspannt auf ihren Handtüchern dösten und die beiden Frauen wohl überhaupt nicht bemerkten. Als diese ihre Inspektion beendet hatten, kamen sie auch in unsere Nähe vorbei. Da sie uns keines Blickes würdigten, konnten sie uns wohl nicht meinen. Jedenfalls hörte ich klar und deutlich, wie die eine Frau zur anderen sagte: "Τους είδες αυτούς τους δυο; Θεεεε μου, πολύ πολύ!" (Tous ídes avtoús tous dyo? Theeee mou, polý polý! – Hast du die beiden gesehen? Mein Gott, viel viel!).
Beim Abendessen am Lagerfeuer haben wir es den beiden erzählt … ich glaube, es war ihnen ein ganz kleines bisschen peinlich, denn am nächsten Morgen behielten sie die Badehosen an.

Viel Spaß
Klaus

Kretamum
24.March.2009, 13:44
Diese Erinnerungen an längst vergangene Zeiten sind interessant und gut zu lesen, Nostalgie macht sich in mir breit, weil man vieles heute so nicht mehr erleben kann.

Aufrichtig beneiden tue ich Dich um Euren Abend mit den Köhlern ... :)

Kreta-Klaus
24.March.2009, 14:18
Nächste Ladung:

Teilzeitwanderarbeiter auf freiwilliger Basis
Wir waren einmal von kurz vor Weihnachten bis zum Drei-Königstag auf Kreta, und das mal wieder in Kókkinos Pýrgos. Eines Abends fragte uns ein Bekannter, ob wir der Familie nicht am nächsten Tag bei der Olivenernte helfen wollten. Dafür gäbe es lecker zu Essen und zu Trinken und ein paar Drachmen sollten auch noch abfallen. Im übrigen sei die Arbeit auch recht mühelos, da die zu erntenden Oliven nicht auf großen alten Bäumen wuchsen, sondern in einer Plantage mit kleinen buschartigen Bäumchen, von deren dünnen Ästen man die Oliven einfach "herunterkämmen" könne.
Da wir nichts Besseres vorhatten – ein Auto hatten wir dieses Mal aus Zeitgründen nicht dabei, sondern waren nach Athen geflogen und hatten dann die Fähre genommen – sagten wir zu und waren auch am nächsten Morgen wie vereinbart um 8 Uhr abholbereit. Ich trug damals sehr gerne hohe Lederstiefel (keine kretischen) und das sollte sich als sehr praktisch erweisen.
Der Bekannte holte uns mit seinem Pick-up ab und fuhr mit uns zu seiner Plantage, wo die Familie schon mit der Arbeit begonnen hatte. Wir bekamen jeder einen kleinen Handrechen mit langen Metallzinken in die Hand gedrückt und dann zeigte man uns, wie man einen der dünnen Zweige zu sich heranzieht und dann mit dem Rechen die Oliven einfach abstreift. Nur ganz selten riss dabei auch mal ein Blatt ab. Die Oliven fielen auf ein schwarzes Nylonnetz, das unter dem Busch ausgelegt war , und konnten so einfach in Säcke umgefüllt werden.
Wir lernten schnell und die Arbeit ging eigentlich recht gut von der Hand … aber … es hatte in der Nacht stark geregnet und auch während der Arbeit gingen immer wieder starke Schauer nieder. So mussten wir sehr oft unterbrechen und wie die Familie Schutz vor dem Regen suchen. Außerdem hatte sich der Boden der Plantage allmählich in eine tiefe Schlammwüste verwandelt, in die man bei jedem Schritt tief einsank. Ich erwähnte bereits, dass mir die Stiefel einen unschätzbaren Vorteil boten.
Nach dem sehr guten obwohl improvisierten Mittagessen begann es allerdings, anhaltend stark zu regnen, so dass der Rest der Arbeit auf den nächsten Tag verschoben wurde. Wir mussten leider passen, denn Yvonne hatte sich bei der ganzen Aktion heftig erkältet und wachte mit Fieber auf. Ein weiterer Tag im Regen war für sie nicht zumutbar … und ich musste sie ja versorgen. Unser Bekannter war zwar ein bisschen enttäuscht, zeigte aber Verständnis …


Mítchi Máous und Tchentátchi - wie die Kreter sprechen
Ich habe ja oft davon erzählt (und es auch in "Miláme Elliniká" beschrieben), dass die kretische Sprache in vielen Fällen ganz andere Wörter kennt als das normale Neugriechisch. Außerdem klingt sie weicher und südländischer. Das liegt insbesondere auch an der kretischen Aussprache des K-Lautes: vor dunklen Vokalen wird er als normales k gesprochen, vor den hellen Vokalen i und e aber als tch (weiches ch wie in ich).
Daran mussten wir uns erst gewöhnen … Jannis' Tochter Vangelio war noch ein Kind, als sie mich mal fragte, ob ich gerne Mítchi Máous läse. Ich habe zuerst nicht verstanden, bis sie mir ein Heft zweigte: Die gute alte "Micky Maus" …
Einige Jahre später wohnten wir in einer Ferienwohnung (wir hatten schon ein Kind, da schläft man nicht mehr am Strand *g) westlich von Chaniá an der Nordküste. Unweit davon lag ein einfaches, aber gutes Lokal, in dem wir schon aus Bequemlichkeit vor allen Dingen mittags gerne aßen (die Oma hatte immer was Leckeres im Topf!).
Wir wunderten uns einmal, warum man den Wirt des Hauses immer nur abends zu Gesicht bekam. Auf unsere Nachfrage erklärte und seine Frau: "Έχει και άλλη δουλειά. Δουλεύει στα Χανιά στο ..." (Échi ke álli douliá. Doulévi sta Chaniá sto … - Er hat noch eine andere Arbeit. Er arbeitet in Chaniá im/bei – das letzte Wort verstand ich nicht, aber es klang wie "Tchentátchi").
Hinterher fragte ich Yvonne, ob sie vielleicht verstanden hätte, wo der Mann denn nun arbeitet. Sie zuckte nur mit den Schultern und meinte, das Wort hätte sie noch nie gehört.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Chaniá. Als wir über den Hafenplatz schlenderten (Platía Eleftheríou Venizélou) und Richtung Fischerhafen weiter wollten, packte mich Yvonne am Arm: "Schau mal, wie der Laden da auf der Ecke heißt!"
Ich las laut vor: "Kentucky Fried Chicken … wieso?" – Sie schüttete sich vor Lachen aus.
"Und jetzt noch mal mit kretischer Aussprache!"
Ich setzte an … und in diesem Moment fiel der Groschen: "Tchentátchi …"

Gruß Klaus

robinson
24.March.2009, 18:48
erkleckliche Getränkevorräte

Klaus,
was ist denn das?
Ist das ein Tippfehler oder:schild11:

So muss noch weiter lesen.

Bettina
24.March.2009, 19:17
Klaus,
was ist denn das?
Ist das ein Tippfehler oder:schild11:

So muss noch weiter lesen.

bin zwar nicht Klaus, aber:

ne, kein Schreibfehler.....das heißt so viel wie sehr üppig, umfangreich, beträchtlich....

Kreta-Klaus
24.March.2009, 22:37
So isses, Bettina!

Robinson,
ich benutze gerne auch mal etwas ausgefallenere Worte :ANGEL:
Gruß Klaus

robinson
25.March.2009, 08:45
Na gut,
hab ich bloß noch nie gehört.
Super geschrieben, Klaus.

Muss jetzt weiter lesen bevor Funny wieder zu laufen anfängt.:laugh:

Kreta-Klaus
30.March.2009, 18:37
Es geht weiter ...

Wie man einen Ersatzschlüssel für den Mietwagen bekommt, wenn man ziemlich krank im Bett liegt
Es war das gleiche Jahr, in dem wir die Köhler besuchten. Denn wir hatten immer noch den Souzouki-Jeep, waren aber jetzt – immer noch mit Katerina und Makis - im Süden unterwegs. Unser Standquartier hatten wir – na, wo wohl – in Kókkinos Pýrgos im Hotel "Brothers".
Eines Tages fuhren wir nach Ágios Geórgios zum Baden. Ich genoss es, mit freiem Oberkörper im offenen Jeep den Fahrtwind um mich sausen zu lassen. Das sollte sich aber später als ein recht fataler Fehler herausstellen. Nun, erst einmal gingen wir ausgiebig schwimmen …
Dann aßen wir bei Níkos. Und dann passierte es: Der Autoschlüssel war verschwunden. Wir suchten den Strand ab, wir suchten den Weg ab, nichts. Was tun? Wir waren völlig von der nachmittäglichen Hitze durchgeschwitzt. Zum Glück hatte der Jeep keine Lenkradsperre, sodass ich ihn mit Makis' Hilfe tatsächlich kurzschließen und den Motor ans Laufen bringen konnte. Immer noch völlig durchgeschwitzt sausten wir nach Kókkinos Pýrgos zurück und überlegten, was wir nun am Besten tun sollten. Vielleicht sollte ich am nächsten Tag mit dem Bus nach Iráklion fahren und versuchen, einen Ersatzschlüssel zu bekommen, denn eine Dauerlösung war das natürlich nicht?
Es kam anders: In der Nacht bekam ich ziemliche Schmerzen im Magenbereich, ich hatte ihn mir gründlich verkühlt (meist ist übrigens so etwas die Ursache für Magen-Darm-Probleme auf Kreta, am Essen liegt es eher selten).
Ich lag also wieder mal "voor Pampus" … aber was war jetzt mit dem Auto? Yvonne kam dann im Laufe des Vormittags an mein Krankenbett: "Es ist alles geregelt mit dem Schlüssel. Er kommt morgen mit dem Frühbus!"
Oh, du heiliges Kreta, wo so etwas so einfach möglich ist. Makis hatte mit dem Autovermieter telefoniert und ihm das Problem geschildert, worauf dieser nur antwortete, das sei doch kein solches. Und tatsächlich: Am nächsten Morgen brachte der Busfahrer einen neuen Wagenschlüssel mit. Ich gebe zu, dass die Erleichterung darüber meiner schnellen Genesung sehr zuträglich war … Allerdings nahm ich fortan den Rat an, mir einen Schutzgürtel zuzulegen, den man ganz preiswert in der Apotheke bekam (so ähnlich wie das Motorradfahrer tragen, natürlich aber nicht aus Leder) und ihn bei weiteren Freiluftfahrten unter dem Hemd auch anzulegen ...

Hochzeitsreise mit "Captain's Dinner"
Dieses Mal weiß ich es ganz genau: Es war 1980 … denn in diesem Jahr heirateten Yvonne und ich.
Zur Feier des Jahres fuhren wir, wen wundert es, nach Kreta. Aber wir wollten uns für die Rückreise mit der Fähre etwas ganz Besonderes gönnen: Eine Passage 1. Klasse. Die wurde es dann auch, und ich vergesse nie die verblüfften Gesichter der Leute an der Empfangstheke des Schiffes, als wir beiden, die wir zwar nicht abgerissen, aber eher ein wenig alternativ aussahen, diese Tickets vorlegten.
Flugs geleitete man uns zu unserer Kabine, wobei man sogar unser Gepäck trug. Und die Kabine entsprach ganz unseren Vorstellungen: Ein Fenster zum Hof … äääh Meer … eigene Toilette und Dusche. Nicht ganz der Standard eines Luxus-Kreuzfahrtschiffes, aber besser als alles, was wir kannten (und kennen).
Zum Abendessen wurden wir in das Schiffsrestaurant der 1. Klasse gebeten, wo es zwar auch nicht viel anderes zu essen gab als in den "niedrigeren" Klassen, aber das Essen wurde serviert und an jedem Tisch saß mindestens ein Schiffsoffizier. An unserem Tisch war es zwar nicht der Kapitän persönlich, aber der Verladeoffizier, der einen sehr ausgemergelten Eindruck machte. Als ich ihn am nächsten Morgen inmitten der Auspuffgase im Unterdeck wiedersah, wurde mir klar, warum.
Aber er war ein charmanter Unterhalter. Yvonnes Anwesenheit – 25 Jahr, langes blondes Haar – beflügelte ihn geradezu. Irgendwann erzählte ich ihm, dass wir vor wenigen Wochen geheiratet hatten, das nahm er galant zur Kenntnis und gratulierte, ließ noch mal eine Runde Getränke kommen und blieb gleichbleibend freundlich. Er hatte schon Stil!
Leider konnte ich die Nacht nicht so genießen wie erhofft, denn ich bekam ziemlich heftige Magenschmerzen, die mich praktisch wach hielten.
Das machte auch die anschließende Rückfahrt durch Jugoslawien nicht ganz erfreulich … zu Hause in Köln stellte man fest, dass ich mir eine Magenschleimhautentzündung eingefangen hatte. War es doch auf Kreta ein Rakí zu viel gewesen?


Gruß Klaus

Kreta-Klaus
1.April.2009, 11:42
Hallo,
diesmal ist die Geschichte zwar schön, aber auch traurig.

Leandros
Wir lernten ihn nur durch Zufall kennen, nein, eigentlich lernte Yvonne ihn kennen. Wir hatten uns gezankt, das kommt ja auch mal vor, und Yvonne saß weinend auf einem Mäuerchen an der Straße in Kókkinos Pýrgos. Ich weiß nicht mehr, ob ich an dem Streit schuld war, aber ich war es vermutlich.
Leandros (man betont den Namen auf dem e), ein hochgewachsener, athletisch gebauter Kreter in der landestypischen Tracht, die er bis an sein Lebensende trug, kam auf seinem Esel vorbeigeritten und hielt an.
"Κακομοίρα, τί κάθεσαι και κλαις;" (Kakomíra, ti káthese ke kles? – Du Arme, – wörtlich: Du mit dem schlechten Schicksal – was sitzt du da und weinst?). Als sie nicht antwortete, stieg er ab und brachte sie zu mir an den Tisch in Jannis' Kneipe, denn er wusste ja, zu wem sie "gehörte". Dann lud er uns beide zu einem Glas Wein ein. Natürlich versöhnten wir uns schnell.
Leandros – ich erzählte es glaube ich anderweitig schon – hatte zwar Haus und Familie in Timbáki, verbrachte aber viel lieber seine Zeit in seiner winzigen Hütte zwischen den Gewächshäusern von Kókkinos Pýrgos bei seinen Schafen. Er begründete dies gerne damit, dass er Angst hätte, die Schafe könnten gestohlen werden, aber das war wohl nur ein Vorwand. Er war wohl einfach lieber dort …
Sehr oft besuchten wir ihn abends in seiner Hütte, wo er uns beim Schein einer Petroleumfunzel auf dem offenen Feuer immer das Gleiche zubereitete, nämlich ein opulentes Omelette mit Kartoffeln, und mit uns so manches Glas seines köstlichen eigenen Weins oder Mournóraki vertilgte. Unsere Griechischkenntnisse waren inzwischen so weit fortgeschritten, dass wir seinen oft einfach gestrickten, aber auch philosophischen Aussagen mühelos folgen und auch unsere eigene Meinung artikulieren konnten.
So wie Jannis mich Jahre zuvor praktisch "adoptiert" hatte, tat dies nun Leandros mit Yvonne. Er sah wie seine eigenen Töchter an und drückte das auch immer wieder aus. So war es für uns eigentlich selbstverständlich, dass unser erster Sohn zumindest mit zweitem Namen Leandros getauft wurde.
Im Jahre 2008 war Yvonne das letzte Mal bei Leandros. Nach dem Tod seiner Frau Evangelia einige Jahre zuvor war er ziemlich gealtert und erkrankt, es ging ihm nicht gut. Yvonne traf ihn im Bett an, aber er erkannte sie sofort und sagte es in seinem Leben zum letzten Mal: "Κι' εσύ είσαι κόρη μου!" (Ki' esý íse kóri mou! – Auch du bist meine Tochter!).
Als Yvonne ihn verließ, weinte sie, denn sie ahnte, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Und so war es auch – im Februar 2009 starb Leandros. Als Yvonne von einer seiner wirklichen Töchter telefonisch davon erfuhr, sagte sie zu mir: "Ich bin so glücklich, dass ich ihn noch einmal sehen durfte … und dass er mich noch erkannt hat."


Gruß Klaus

Kreta-Klaus
1.April.2009, 12:40
Und jetzt wieder zwei schöne Begegnungen ...

Zum ersten Mal mit Kind auf Kreta (1)
Es war im Jahre 1983. Unser erster Sohn war gerade mal 11 Monate alt und ein richtiger Racker (er konnte noch nicht laufen, aber stehen schon). Wir fuhren von Iráklion bis hinter Plataniás (westlich von Chaniá!) und er stand (!) die ganze Zeit fröhlich brabbelnd auf dem Rücksitz und hielt sich an den Lehnen der Vordersitze fest, obwohl es schon dunkel wurde (damals, es ist 25 Jahre her, kriegte man keine Kindersitze!). Wir kamen dann endlich an und waren ziemlich geschafft. Bevor wir unser Quartier bezogen, wollten wir noch etwas essen, um ein wenig zur Ruhe zu kommen, aber der Kurze war immer noch völlig aufgedreht und hielt uns auf Trab.
Da stand ein älterer Kreter vom Nachbartisch auf, kam zu uns und fragte: "Επιτρέπεται;" (Epitrépete? - Ist es erlaubt?), schnappte sich das Kind und nahm es mit an seinen Tisch. Er gab ihm seinen Schlüsselbund zum Spielen und störte sich auch nicht daran, dass der Kleine ausgiebig seinen imposanten Schnurrbart befingerte. Erst als wir unser Essen beendet hatten, bekamen wir auch unser Kind zurück. Dafür bin ich heute noch dankbar und meine Frau auch.
In den folgenden zwei Wochen dort entwickelte sich der Kleine zur absoluten Attraktion für die Einheimischen, besonders seine Krabbeltechnik. Um die Knie zu schonen, krabbelte er nämlich auf Händen und Füßen (was bei dem dortigen Betonboden sicher eine gute Idee war). Sein höchster Punkt war der rundliche Windelhintern. Und er entwickelte so eine beeindruckende Geschwindigkeit.
Und er hatte einen Hang zum Küchenpersonal: Immer wieder "sauste" er in die Küche, um etwas abzustauben. Zur Küche führte aber eine Treppe mit 4 oder 5 Stufen herunter. Wenn er dann also auf diese Treppe zuschoss, rief jedes Mal jemand: "Θα πέσει, θα πέσει!" (Tha pési, tha pési! – Er wird fallen!). Wir blieben aber vollkommen gelassen, denn wir kannten seine perfekte Technik: Im letzten Moment warf er das Hinterteil herum und kroch rückwärts die Treppe hinunter.
Auch im Dorf und in Chaniá war der blonde Lockenkopf immer sofort im Mittelpunkt. Alte Frauen (aber auch Männer) kamen mit Lutschern oder sonstigen Süßigkeiten aus Kiosken und Läden herausgelaufen und wollten ihm über den Kopf streicheln. Und überall hieß es: "Τί ομορφούλι!" (Ti omorfoúli – Was für ein Süßer!).
Eines Abends wurden wir in ein Restaurant eingeladen (das ist aber wieder eine andere Geschichte). Hier saß der Kleine stundenlang (!) auf dem Arm des Grillmeisters, der also die ganze Zeit nur mit einer Hand arbeiten konnte und lutschte verzückt an einem Stück "Kontosoúvli" (eine Art horizontaler Gýros). Und wir konnten aller Ruhe unser Essen genießen!

Zum ersten Mal mit Kind auf Kreta (2)
Nachdem wir zwei Wochen in Plataniás verbracht haben, fuhren wir nach Kókkinos Pýrgos, denn wir wollten unseren Nachwuchs unseren Freunden vorstellen. Wir nahmen wieder Quartier im Hotel "Brothers" und konnten dann den Vorteil einer primitiven elektrischen Verkabelung nutzen. Wir hatten nämlich so ein Babyfon mit, das man in die Steckdose steckt (die Signale werden also über das Stromnetz weitergeleitet).
Und so war es tatsächlich möglich, die Empfangsstation in Jannis' Kafenío einzustöpseln und so das Hotelzimmer zu überwachen. Einmal hörten wir ihn knatschen und waren drei Minuten später am Bett.
Nur krabbeln lassen wollten wir ihn in Kókkinos Pýrgos nicht, denn dafür war und ist es dort wirklich zu schmutzig. Auch in den nächsten Jahren waren wir deshalb immer nur zu kurzen Stippvisiten im Dorf.
Bevor wir aber weiterreisten, mussten wir Julian-Leandros (so heißt er wirklich) aber noch seinem "Opa" vorstellen – unserem lieben alten Freund Leandros aus Timbáki – ich habe ja schon mehrfach von ihm erzählt, auch, dass er Yvonne sozusagen "adoptiert" hatte … deswegen "Opa"!
Da Julian nun überhaupt keine Berührungsängste hatte, hatte er auch nicht die geringste Scheu vor diesem großen, tief braun gebrannten Mann mit dem beeindruckenden Schnurrbart, im Gegenteil: Er saß zutraulich bei ihm auf dem Schoß und die beiden tranken ein Schlückchen miteinander.
Leandros war von seinem "Enkel" genau so angetan wie dieser von seinem "Opa". Für Leandros war der Kleine auch der erste "Enkel", denn seine leibliche Tochter Klió wurde erst viele Jahre später Mutter.

Gruß Klaus

Bettina
2.April.2009, 07:22
Und jetzt wieder zwei schöne Begegnungen ...


Gruß Klaus

@ Zum ersten Mal mit Kind auf Kreta (1)

:Knuddel: und es ist so schön, denn es ist immer noch so....und was mich immer so beeindruckt, diese Kinderliebe hat keine Altersgrenze....ich bin immer so begeistert, wenn sich Jugendliche 16/17/18 jährige sich aufeinmal vor den Kinderwagen stellen und mit einem Baby Schäkern.....wenn einem alten Urkreter beim Anblick eines kleinen Kindes die Augen leuchten und ihm sein "wertvolles" Komboloi zum spielen gibt....die alte Oma, deinem Kind ein Bonbon ein Stück Paximadi, irgendetwas was sie eh immer in irgendeiner Tasche haben gibt....wenn man in einer Taverne sitz...und krampfhaft versucht, seinen Kleinen dazu zu bringen sitzen zu bleiben....aber sämtliche dortige Griechen nur lachen und sagen "as tone...paidi ine" (laß ihn doch, ist doch ein Kind) und sich dann mit ihm beschäftigen....wenn man merkt, dieses "Volk" hat wirklich eine außergewöhnliche Liebe zu Kindern...je quirrliger die Kleinen desto größer die Liebe......"avto ine soi!!" (das ist Leben)

Hier könnte ich nun zig Geschichten erzählen...aber das vielleicht mal zu anderer Zeit an anderem Ort......

mia
7.April.2009, 17:59
Lieber Klaus :)

endlich bin ich dazugekommen, alle Geschichten zu lesen!
Und es hat sich ausgezahlt!
Wunderschön :freu: :smiley71:

Sternenkind
9.April.2009, 06:32
Hallo Klaus, es ist einfach wunderbar deine Erinnerungen zu lesen :jo:
Wir sind ja in jungen Jahren nie verreist, hatten auch nie Urlaub--Hausbau usw...
Umsomehr freuen wie uns jetzt immer auf das NACHHAUSEKOMMEN nach Frangokastello . Hab schon richtiges Heimweh, überhaupt wenn ich Psarantonis höre :smiley4:
Liebe Grüße
EVA:ANGEL:

Kreta-Klaus
13.April.2009, 19:17
Noch eine:
Zum ersten Mal mit Kind auf Kreta (3)
Die Zeit des Rückflugs war gekommen. Um 20 Uhr sollte der Flieger abheben und wir waren pünktlich vor Ort (es war damals noch anders chaotisch als heute, wir empfanden es nicht gar so schlimm). Dann kam irgendwann kurz vor halb acht eine fast unverständliche Durchsage, die auf Nachfrage aber dann leider bestätigt wurde: Unser Flugzeug würde erst gegen 5 Uhr morgens starten. Mein erster Gedanke war: Oh Herr, lass Morgen werden.
Es wurde wie erwartet ziemlich grausam. Wir waren nicht die Einzigen, die mit einem Kleinkind unterwegs waren, sondern es waren noch drei oder vier andere Paare. Da saßen wir nun mit quengelnden und übernächtigten Kindern … Doch dann schritt Yvonne zur Tat: Sie fragte sich zum Chef des Flughafens durch und ging dem so lange mit der Frage nach einem Wickel- oder VIP-Raum auf die Nerven, bis er irgendwann voll Leichtsinn sagte, dann sollten wir halt mit den Kindern zu ihm ins Büro kommen. Er ließ den Eltern Kaffee kommen und war auch sehr nett zu den Kindern.
Aber er hatte viel zu tun, und als die Kinder begannen, seine Akten unten von den Tischen zu räumen und im Büro zu verteilen, ging es dann doch zu weit. Plötzlich gab es doch Räume, in denen wir unterkamen. Leider aber lagen diese nur einfach verglast zum Rollfeld hinaus, so dass Julian bei jedem landenden Flugzeug senkrecht auf den beiden zusammen geschobenen Stühlen stand, auf denen wir ihm ein provisorisches Lager gebaut hatten.
Gegen 3 Uhr hieß es dann, noch einmal einzuchecken, was aber sehr problemlos verlief. Und jetzt kam es – und dafür konnten die Kreter wirklich nichts: Julian war übernächtigt, müde und knatschig und wollte partout herumgetragen werden. Wir hatten so eine Rückenkiepe dabei, in der ich fortan in der Abflughalle mit ihm auf und ab wanderte. So lange ich das tat, war alles in bester Ordnung. Wehe aber, ich wollte mich kurz hinsetzen, dann gab es Geschrei. Anderen Reisenden tat ich leid (ich mir selber irgendwann auch), man reichte mir hier und dort einen freundlichen Kaffee und ich marschierte wie ein Zombie auf und ab. Julian fand das gut, solange ich mich bewegte …
Als wir dann irgendwann endlich im Flugzeug saßen, lag er brettelbreit über unserer beider Schoß und schlief den knapp dreistündigen Flug durch. Wir trauten nicht, uns zu bewegen … und kamen so ziemlich zerschlagen in Düsseldorf an. Und zu Hause … da waren wir erst mal platt. Wenn er uns denn hätte platt sein lassen … nein, er war wieder fit und tatendurstig. Er wusste wohl, dass wir an Tag drauf noch zwei Wochen mit ihm nach Holland an die See fahren wollten.

Klaus