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Thema: Kreta 1971 - Erinnerungen

  1. #1
    Kreta-Klaus Gast

    Standard Kreta 1971 - Erinnerungen

    So Ihr Lieben,
    es geht los ... und bitte nicht ungeduldig werden, wenn es hier nicht immer Schlag auf Schlag geht ... ich tue mein Bestes.
    Gruß Klaus
    :):):)

    Wie und warum es alles anfing ...
    Im Frühjahr 1971 war mein Wehrdienst zu Ende. Ich beschloss mir erst einmal eine nette Auszeit zu nehmen. Was ich in dieser Auszeit tun oder auch nicht tun wollte, war nicht schwierig zu entscheiden. Ich war seit meinem 12. Lebensjahr aktiv „jugendbewegt“, d.h. Mitglied in einem Wandervogelbund, der zwei alte Burgen sein eigen nannte: Burg Waldeck im Hunsrück und Burg Hohlenfels im Taunus. Da die Hohlenfels als Ganzes besser erhalten war, es gab immerhin über 30 bewohnbare Räume, und dort auch die Leute verkehrten, die mir mehr zusagten, zog ich für etwas mehr als ein Jahr fest auf die Burg. Es gab damals auf beiden Burgen eine sogenannte „Bauhütte“, d.h. junge Leute lebten und arbeiteten dort ohne Entgelt, nur für Kost und Logis (ein kleines Taschengeld für Zigaretten etc. verdienten wir uns manchmal außerhalb nebenbei).
    Als es Sommer wurde, setzten wir uns zusammen, denn Urlaub sollte es schließlich auch geben. Ein Urlaub, den wir so nicht nannten ... denn als Wandervogel macht man keinen Urlaub, sondern eine „Großfahrt“! Wir unterhielten uns also über das Ziel. Einer der Vorschläge war Sardinien, was ich aber ablehnte, da ich dort erst ein Jahr zuvor gewesen war und mein damaliges Credo lautete: „Niemals zwei Mal in das gleiche Land und schon gar nicht auf die gleiche Insel!“
    Mein bester Freund Wanja brachte dann Griechenland ins Spiel, da sei er schon zwei Mal gewesen und könne auch schon die wichtigsten Worte Griechisch (ich lache nachträglich darüber, was er für Griechisch hielt und mir damals auch vermittelte – egal, es hat auch mit diesem Pidgin geklappt). Und irgendwann kristallisierte sich heraus: Diesmal sollte es Kreta sein. Da wir uns wenig für Politik interessierten, wussten wir zwar, dass es in Griechenland seinerzeit eine Militärdiktatur gab, aber uns stellte sich irgendwie nicht die Frage, deshalb das Land zu boykottieren. Und wenn sie sich uns gestellt hätte, würde ich darauf geantwortet haben: „Schadet es den Obristen oder der Tavernenbesitzern, wenn wir nicht hinfahren?“
    Damit war die Frage nach dem wohin geklärt.
    Die zweite Frage war dann, wer fährt überhaupt mit. Was wird uns die ganze Sache denn so ungefähr kosten etc. Nun, es gab da niemanden, den man ernsthaft fragen konnte. Höchstens unsere eigenen „Erfahrungswerte“ aus den vergangenen Jahren, aber aus anderen Ländern (denn außer Wanja war noch niemand von uns jemals in Griechenland gewesen).
    In den nächsten beiden Wochen stellten wir fest, dass sich in diesem Jahr augenscheinlich viele unserer Freunde und Bekannten ebenfalls für Kreta entschieden hatten. Mal abgesehen von uns, würden sich also mindestens fünfunddreißig unserer „Bundesbrüder“ zur fraglichen Zeit irgendwo auf der Insel herumtreiben.
    Und wir kamen auch auf die stolze Zahl von acht Jungs. Wanja und ich waren mit 24 und 20 die ältesten, die anderen zwischen 11 und 17 Jahren ... Es stellte sich nunmehr die Frage nach einem geeigneten Transportmittel, das wir nicht besaßen. Für acht Leute brauchte man ja mindestens einen VW-Bus (und unserer war derzeit kaputt und hatte sowieso seit Jahren keinen Versicherungsschutz mehr – damit konnte man vielleicht durch die DDR nach Berlin fahren, aber nach Kreta?). Also hörten wir uns in der Nachbarschaft der Burg um, und einer der Einheimischen - ein Automechaniker - , der uns schon immer gewogen war, weil er mit seinen Freunden regelmäßig Vorderladerschießübungen bei uns im Außenhof absolvieren durfte, kam eines Tages vorbei und meinte: „Kommt mal runter in den Vorhof, ich glaube, ich habe da was für Euch!“
    Wir folgten ihm in gespannter Erwartung und waren erst mal baff, was da im Hof stand. Nicht etwa der gewünschte VW-Bus, nein, uns erwartete ein „Monstrum“: Ein Tempo Matador mit Doppelkabine sowie Ladefläche, Plane und Spriegel ... 5,24 Meter lang, 1,76 breit, Baujahr 1952.
    „Wollt Ihr ihn mal Probe fahren?“
    Natürlich wollten wir! Und wir scheuchten den 2,5 Tonner mit seinen sage und schreibe 54 PS die kurvenreichen Sträßchen in der Umgebung hinauf und hinunter, immer abwechselnd, denn wir konnten beide (Wanja und ich) nach nur kurzer Eingewöhnungsphase von der Kiste nicht genug kriegen. Vor allem imponierte uns der Fronantrieb, denn der Wagen zog wesentlich besser durch die Kurven als die Heckschleuder VW-Bus (der ja nur 30 PS hatte, wenn er auch leichter war) – ideal für Kretas Straßen, dachten wir uns, obwohl wir beide noch nie eine davon gesehen hatten.
    „Aber dürfen wir damit 8 Personen befördern?“
    „Für Deutschland und Österreich bauen wir halt hinten noch eine Sitzbank aus Eurem Schrottbus drauf mit einer Alarmklingel in die Fahrerkabine ... und in Griechenland ist das sowieso egal!“
    Gesagt getan! Als alle Arbeiten erledigt waren und ich außerdem noch einen Schnellkurs gemacht hatte, welche Teile an diesem Auto kritisch werden könnten und wie man die typischen Probleme behebt (dieser Kurs sollte sich später noch als sehr nützlich erweisen), zweitens die entsprechenden Schrauben, Muttern, Kleinteile, Werkzeuge etc. an Bord waren, stand einem Aufbruch kaum noch was im Wege ... für mich aber stellte sich (nicht) ganz überraschend plötzlich ein persönliches Problem. Wanja hatte lange herum gerechnet und veranschlagte nun pro Person 500-600 DM als Gesamtkosten für die fünf bis sechs Wochen, die wir gedachten, unterwegs zu sein. Und ich besaß incl. aller Reserven nur noch ca. 150 DM. Also sagte ich abends schweren Herzens zu ihm: „Ich glaube, ich muss verzichten, ich kriege das Geld nicht zusammen. Fahrt ohne mich!“ Und ging sehr traurigen Herzens schlafen ...
    Auch am nächsten Morgen war ich nicht fröhlicher, denn ich hatte physisch wie psychisch in diese Fahrt schon einiges investiert. Jetzt nur zuzuschauen, wie die anderen davonfuhren, würde mir wahrscheinlich ziemlich weh tun.
    Doch Wanja strahlte mich an, als ich mit Leichenbittermiene zum Frühstück getrottet kam: „Mach dir keine Sorgen, ich habe gestern ein bisschen rumtelefoniert. Es ist alles geregelt. Die Eltern von den Jungs, die mitfahren, haben zusammengelegt. Mit deinen 150 Mark haben wir jetzt sage und schreibe 700 zusammen.“
    Beinahe hätte ich ihn geknutscht. Das war typisch Wanja, immer gut drauf und nie um eine Idee verlegen.
    Nun stand es fest: In diesem Jahr würde ich zum ersten Mal Kreta betreten! Und das für Gesamtkosten von 150 DM für mich. Jubel ...
    Nein, ich kam mir nicht wie ein Schmarotzer vor, denn ich hatte und hätte niemand um einen Pfennig gebeten und außerdem wäre Wanja sonst der einzige Fahrer gewesen ... in der Praxis stellte sich später heraus, das ich etwa 80% aller gefahrenen Kilometer am Steuer gesessen hatte.
    Da jetzt alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, legten wir den Abfahrtstermin endgültig auf eine Woche später fest. Außerdem telefonierten wir auch die anderen Gruppen an, die zur gleichen Zeit fahren würden, und gaben die Parole aus: „Wer Lust hat, wir treffen uns Mittwochabend der nächsten Woche im Dorf am Fuß des Olymp (wir wussten den Namen nicht, aber es gibt nur eines) in der ersten Kneipe links!“ Wir gingen einfach davon aus, dass es in jedem griechischen Dorf eine „erste Kneipe links“ gibt ... und wenn nicht, ist das Dorf eh so klein, dass man sich nicht verfehlen kann.
    Genauere Ortsbeschreibungen gab es während der ganzen Tour nicht ... für uns war so etwas eben genau genug. Und auch auf weitere Planungen verzichteten wir gänzlich. Erstens gab es nichts, nach dem wir hätten planen können, keine Reiseführer mit praktischen Hinweisen, kein Internet ... und noch nicht mal irgendwelche Leute, die wir und die Kreta schon kannten.
    Also einfach drauflos und schauen, was der nächste Tag uns bringt, das war eigentlich schon immer unsere Philosophie und so würde es auch diesmal sein.

    In der nächsten Folge: „Der Weg ist das Ziel“ (mit 54 PS über drei Alpenpässe, über den endlosen Autoput – nur zweispurig – zu meinem ersten griechischen Vollrausch in Litochoro und noch weiter)

  2. #2
    spotty Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Sehr schön , Klaus - da lege ich doch glatt erst einmal meine andere Lektüre zur Seite und überlege, wie das denn *damals* bei uns so gesehen ist. Kreta war ja da bekanntermaßen kein Thema, obwohl wir es gerne gehabt hätten ...

    Ich freue mich auf weitere Folgen!

    Gruss
    Spotty

  3. #3
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    Daumen hoch AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    ET HAT NOCH IMMER; IMMER JOOT GEJANGE - KEINE BANGE :biggthump

    Ich wußte doch das wir nicht lange warten müssen....es kribbelt doch in Deinen Fingern :laugh:
    Schön Klaus und weiter so - ich hab schon alles gelesen!
    :Knuddel:
    Ich kam an deine Küste als ein Fremdling, ich wohnte in deinem Haus als ein Gast, ich verlasse deine Schwelle als ein Freund, meine Erde.
    (Verfasser: Rabindranath Tagore)

  4. #4
    Henry Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus,

    prima bestens und ich bin einmal gespannt, wie es weitergeht; den 1972 haben wir eine Art von Konsul nach Iraklio gezogen, vielleicht gibt es da ja Bezüge oder ähnliche Erlebnisse mit Deiner Geschichte.

    Henry

  5. #5
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus:biggthump

    lass dir nicht so lange Zeit mit dem 2. Teil, wir sind gespannt wie es weiter geht.:clap::clap:

    VG Erika und Peter

  6. #6
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Genau, lass uns nur nicht zu lange auf die Fortsetzung warten. Ich bin gespannt.

    GabiK
    Man sollte im Leben nicht zu früh nach Griechenland reisen, sonst sieht man nichts anderes mehr von der übrigen Welt.

  7. #7
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Klasse Klaus,

    das macht neugierig auf mehr ....

    Grüßchen Ilona :Knuddel:

  8. #8
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    2. Szene
    So, heute hatte ich ein bisschen Zeit und habe mich ein wenig weiter erinnert. Nun erwartet aber bitte nicht ein Tagebuch von mir. Es liegt immerhin alles etwa 36 Jahre zurück und manchmal muss ich nachdenken ...
    Erwartet auch nicht zu viele "kluge" Einblicke in Kreta ... damals war ich wirklich noch nicht so weit. Ich erzähle Euch ja nur, was wir damals so erlebt und empfunden haben. Und es kommt noch Einiges ...
    Und das Wichtigste: Es war eine Fahrt in einer Gruppe, die sich oft auch selbst genug war. Und sowieso nicht immer durchgeblickt hat, wie die Uhren auf Kreta ticken - mich inbegriffen. Das sollte immer bei der Lektüre im Hinterkopf bleiben. Wir waren durchaus naiv und durchaus manchmal frech ... so waren wir eben, denn wir waren vorher auch schon durch ein paar andere Gegenden gefahren ...
    Es geht heute nicht so weit voran, wie ich eigentlich dachte - man wird eben beim Erzählen doch manchmal langatmiger.
    Nur Geduld ...


    Der Weg ist das Ziel ...
    Es war so weit. Wanja hatte neben mir auf dem Beifahrersitz Platz genommen, drei Mann hinter uns auf der Rückbank und die übrigen drei machten es sich so bequem wie möglich auf der Sitzbank unseres alten VW-Busses, die wir fest auf die Ladefläche direkt hinter der Fahrerkabine montiert hatten. Den Rest der Ladefläche hatten wir mit bequemen Matratzen ausgelegt, denn sobald wir Österreich verlassen haben würden, wollten wie die strenge Sitzordnung erheblich verändern. Dann sollte es zu einer Art Wohn- und Schlafmobil umfunktioniert werden, schon deshalb, weil wir gedachten, die Strecke in einem Rutsch durchzufahren. Auf den Matratzen stapelten sich unsere Rucksäcke und einige Gerätschaften wie auch ein zweiflammiger Gaskocher und eine entsprechende Gasflasche, groß genug, um für die ganze Fahrt damit auszukommen. Wir hatten schließlich keinen Schimmer, ob es „da unten“ so etwas gab. Natürlich waren wir gewohnt, auch am Lagerfeuer zu kochen, aber ob wir das im trockenen Kreta tun sollten ...?
    Den deutschen Vorschriften zufolge gab es auch einen Schalter neben der Sitzbank hinten, mit dem man im Gefahrenfall die Fahrer alarmieren konnte. Leider aber saßen ausgerechnet die größten Spielkinder hinten, sodass das Lämpchen bereits nach wenigen Metern das erste Mal aufleuchtete. Also stoppte ich und brüllte durch das geöffnete Fenster zurück: „Was ist los?“
    „Johnny ist runtergefallen …“. Natürlich war das nicht wahr, also musste Wanja zum Schimpfen nach hinten.
    Lange hielt das Bravsein allerdings nicht an und als es immer wieder blinkte, klemmten wir einfach die Leitung ab ... genauer gesagt, wir klemmten sie nicht ab, sondern betätigten einfach den zweiten, unter dem Armaturenbrett versteckten Schalter, den wir in „weiser Voraussicht“ montiert hatten, und drehten ihnen so einfach den Saft ab. Man durfte und hatte es nicht vergessen: Kleine Jungs blieben kleine Jungs, auch wenn sie mit uns auf „große Fahrt“ gingen. Jetzt konnten die da hinten ihren Spaß haben und wir unsere Ruhe. Im Falle einer Polizeikontrolle würden wir es eben einfach schnell wieder einschalten ...
    Während ich das hier so schreibe, wird mir noch einmal so richtig bewusst, mit welchem Vertrauen die Eltern unserer Pimpfe (so nannte man beim Wandervogel die Jüngeren) uns ihre Kinder für eine solche „abenteuerliche Tour“ einfach mitgaben … es waren halt eben wirklich noch andere Zeiten, die ich mir zwar nicht zwingend zurück wünsche, die aber sicher ihren wirklichen Reiz hatten. Ich weiß und glaube nicht, ob bzw. dass es viele Eltern heutzutage noch so locker sehen würden.

    Die Fahrt bis zur österreichischen Grenze und darüber hinaus verlief recht ereignislos. Zwischendurch hielten nur zwei Mal an, um menschliche Bedürfnissen der Nahrungszufuhr und -entsorgung nachzukommen (für den ersten Tag hatten wir genug dabei, denn wenn man incl. aller Fahrt- und Fährkosten mit ca. 15 DM pro Person und Tag auskommen will, will man ja nicht schon ein Vielfaches davon auf deutschen Autobahnraststätten ausgeben). Der Grenzübertritt verwies sich als erstaunlich problemlos, weder die deutschen noch die österreichischen Grenzer fanden an unserer Fuhre etwas auszusetzen (das Lämpchen hatten wir sicherheitshalber wieder scharfgestellt, aber niemand interessierte sich dafür!).

    Als wir kurz vor Salzburg von der Autobahn nach Süden abbogen, kamen mir zum ersten Mal zarte Bedenken angesichts der Tatsache, dass vor uns nun drei deftige Alpenpässe lagen. Das hatten wir vorher gar nicht so richtig überdacht (in späteren Jahren bin ich klüger geworden und habe durch Österreich eine andere „passlose“ Strecke genommen).
    „Wanja, ist Dir eigentlich aufgefallen, dass unserer Mühle an langen Steigungen schon in Deutschland doch schon so ziemlich zu kämpfen hatte? 54 PS sind jetzt, wo wir voll beladen sind, nicht gerade der Hammer …“
    „Was soll’s, fahr einfach weiter … es wird schon passen.“
    „Dein Wort in Gottes Ohr.“
    Und schon näherten wir uns den Radstädter Tauern. Ein Schild am Straßenrand drohte uns 15% Steigung an. Ich atmete tief durch und nahm sie in Angriff. Und siehe da, die Hoffnung starb zuletzt, wir kamen problemlos rauf und auch wieder runter, auch wenn ich zeitweise im ersten Gang fahren musst. Vielleicht kann man sich das heute angesichts PS-gewaltiger Fahrzeuge nicht mehr vorstellen, aber auch PKWs hatten an solchen Pässen damals oft Probleme.
    Weiter ging die Fahrt. Ich mache es kurz, auch die 18% Steigung des Katschbergpasses bewältigte unser rollendes Wohnzimmer zwar mühsam, aber es bewältigte sie.
    „Jetzt kann uns ja nichts mehr passieren,“ meinte Wanja. „Der Wurzenpass hat auch nicht mehr als 18% … Und so, wie Du die Sache angehst, schaffen wir auch das …“
    Ich war schon ein bisschen stolz, denn zeitweise war mir schon die Muffe gegangen, als ich beim mühsamen Anstieg den zahlreichen Bauern aus der Umgebung begegnete, die sich ein freundliches Zubrot verdienten, indem sie ununterbrochen den Passanstieg hinauf und wieder hinunter patrouillierten, um liegen gebliebene Fahrzeuge an die Kette zu nehmen und hinauf zu schleppen. Es blieben ziemlich viele liegen.
    „Ich hoffe Du behältst Recht!“
    Inzwischen war es stockdunkel geworden und dann waren wir am Wurzenpass. Wieder wurden uns 18% Steigung gemeldet. Also gleich den ersten Gang rein und los. Der Wagen erwies sich als braves Arbeitstier und mühte sich tatsächlich recht problemlos den Berg hinauf.
    Doch wir freuten uns zu früh. Denn jetzt erlebten wir hautnah, wie einen die Unfähigkeit anderer zu eigentlich unnötigen Geldausgaben treiben kann. Direkt vor uns gab ein Wagen den Geist auf, ein zweiter PKW versuchte, an ihm vorbeizufahren und blieb ebenfalls stehen. Ausgerechnet an einer der steilsten Stücke musste ich anhalten … und das war es natürlich. Selbst heute, mit 38 Jahren mehr Fahrpraxis auf dem Buckel, würde ich es nicht schaffen, einen voll beladenen 2,5-Tonner mit 54 PS aus dem Stand wieder anfahren zu lassen. Das macht keine Kupplung der Welt mit.
    Also gab ich den Versuch schnell wieder auf und wir brachten einem Bauern, der uns an die Kette nahm und ziemlich mühelos nach oben auf die Passhöhe schleppte, umgerechnet etwa 25 DM in die Kasse. Während wir noch an der Kette hangen, vergrößerte Wanja meinen Schmerz über die Blamage noch, indem er mal eben ausrechnete, wie viele Liter Wein wir jetzt auf Kreta weniger trinken konnten. Und das betraf nur ihn und mich, die Pimpfe kriegten ja noch keinen …
    Dann waren wir endlich auf der Passhöhe. Nachdem der Bauer dankend wieder davon gerasselt war, ließ ich den Wagen wieder an, trat die Kupplung durch und … tja, ein Unglück kommt selten allein: Das Kupplungspedal fiel nach unten durch und blieb, wo es war. Selbst der immer so entspannte Wanja schaute nun sehr beunruhigt, doch dieses Mal blieb ich ganz ruhig. Ich erwähnte bereits, dass ich einen Schnellkurs absolviert hatte, der mich den (wenigen) Schwachstellen des Autos vertraut machen sollte.
    Also war ich diesmal mit der Coolness dran.
    „Dass es jetzt ausgerechnet stockfinster ist, ist natürlich Mist, aber das kriege ich wieder hin.“
    Ich kramte nach einer passenden Schraubenmutter in meinem kleinen Ersatzteillager und kroch unter den Wagen. Wanja leuchtete mit einer Taschenlampe. Und ich behielt Recht. Die Stange, die das Kupplungspedal mit dem Kupplungsgehäuse verbindet, lag mit einem Ende lose auf dem Boden. Zum Glück war sie nicht verbogen, also war es wohl gerade eben erst beim versuchten Kupplungsvorgang passiert. Unser Freund, der Automechaniker, hatte mich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keine Sicherung für die Mutter am Ende der Stange gab, dort wo sie mit dem Pedal verbunden war. Also schraubte ich unter gehörigem Fluchen, denn es ging nicht so einfach, wie es sich hier anhört, die Ersatzmutter wieder drauf und zog sie ordentlich fest. Alles funktionierte wieder – und es blieb für die gesamte Tour (fast) unsere einzige Panne. Die übrigen Ersatzmuttern brauchte ich nicht mehr (ich hatte mindestens zehn dabei, denn ich war vorgewarnt).
    Jetzt allerdings hatte ich Nase vorübergehend voll. Mich kriegt so leicht keiner vom Lenkrad weg, aber nun war es so weit.
    „Wanja, den Pass wieder runter fährst du jetzt aber, ich will vor Zagreb nicht geweckt werden.“
    Über dieses Stück der Fahrt weiß ich also gar nichts, ich verschlief den Grenzübergang, ich verschlief Ljubljana und ich verschlief auch Zagreb – und das in meinem Schlafsack unter (!) dem Rücksitz in der Fahrerkabine. Das war zwar sehr unbequem, aber bei der Bundeswehr hatte ich gelernt, immer und überall schlafen zu können.
    Ich übernahm das Lenkrad erst hinter Zagreb wieder. Wer die Strecke jemals gefahren ist, weiß, wie langweilig das Stück Autoput zwischen Zagreb und Belgrad war: Mehr oder weniger immer geradeaus, rechts und links fast nichts außer Maisfeldern …. Und völlig bekloppte Autofahrer. Vergessen wir nicht: Damals war alles nur zweispurig …
    Ich fuhr bis kurz hinter Skopje, dann wechselten wir wieder und ich verzog mich erneut unter den Rücksitz. Meinen ersten Grenzübertritt nach Griechenland verschlief ich also auch noch. Ich weiß also auch nicht, ob ich für die Grenz- und Zollbeamten uninteressant war oder ob sie mich einfach nicht entdeckten. Ich wurde erst wieder wach, als wir schon irgendwo bei Thessaloniki waren.
    „Welchen Tag haben wir heute?“
    „Mittwoch …“
    „Und wie spät ist es?“
    „Kurz vor 12 …“
    „Und wie weit ist es noch zum Olymp?“
    „Weiß ich doch nicht.“
    „Also gut, soll ich weiterfahren? Du weißt doch, wir sind verabredet …“
    „Wäre mir Recht …“
    Also fuhren wir rechts ran und wechselten wieder die Plätze …
    Ich schaute durch die Frontscheibe auf Griechenland. Na super, wir waren in Griechenland angekommen, jetzt begann das Ganze erst richtig.

    Und wie richtig es begann, nämlich zum Beispiel mit meinem ersten richtigen griechischem Vollrausch und wie ich mich (vermutlich deswegen) erfolglos mit einem griechischen Polizisten anlegte, das lest Ihr demnächst … und es sei noch einmal - aber zum letzten Mal - erwähnt: Ich redigiere hier diese Texte nicht. Wenn sie Schwächen haben, weil ich einfach so darauf los plaudere, was soll's ...
    Gruß Klaus

  9. #9
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Ich habe da ein Bild: Tempo Matador

    VG Thomas
    VG Anja & Thomas
    Holzwege eröffen einem oft neue Perspektiven. Allerdings enden sie über kurz oder lang im Wald.


  10. #10
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Denk Dir da noch eine Ladeplane drauf, dann hast Du unser Schmuckstück ... das uns noch ein wenig als unser Wohnzimmer begleiten wird. Sogar die Farbe stimmt, bis auf den gelben Streifen, den hatte unserer nicht.
    Klaus

  11. #11
    Henry Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus,

    "normale" Eltern sehen es bestimmt nicht mehr so locker. :smirk:

    Du schreibst schnell, hast keinen Lektor, der Deinen Text überprüft, also lasse Dir keine grauen Haare wachsen. Nehme es als spontane Niederschrift von Erinnerungen. :) Mir gefällt es - und in Thessaloniki sind wir ja schon. :smiley55:

    Henry

  12. #12
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Das weckt Erinnerungen, Klaus :) .... wir sind 1976 erstmals nach GR gefahren - auch über die Autoput, mit einem uralten Mercedes, bei dem man alle ca. 100 km die Einspritzdüse reinigen mußte (mit einer Art Stecknadel, die fast genauso wichtig war wie der Treibstoff). Bis Litochoro haben wir es allerdings nicht mehr geschafft, sondern sind gleich einmal in Makrigialos hängen geblieben.
    LG Reinhilde

    Wenn du nicht kämpfst, dich nicht bemühst, hast du nicht das Recht zu hoffen.

  13. #13
    Manniki Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Ja Klaus wie ist das mit den Hühnern bis nach Kreta Wieviel mussten dran glauben. Ihr andern müsst wissen ein Sprichwort sagt ;Wo die Nerodher Wandervögel noch nicht waren haben die Bauern ihre Hühner noch.Nichts für ungut ,war auch ne zeitlang bei dem Haufen.Wörschweiler ist dir vieleicht ein begriff .Oder der rote Baron?machweiter wird bestimmt ein guter Bericht

  14. #14
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus,

    kram weiter in deinen Erinnerungen. :hack:
    Jetzt wollen wir auch alles erfahren! :read:

    VG Erika und Peter

  15. #15
    Heidi Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Lieber Klaus! Ich bitte um Absätze im Text! Aber nich hauen jezt
    Gruß Heidi

  16. #16
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Wie, Heidi, noch mehr Abätze
    Ich werde mich bmühen. :)

    Manniki,
    Wörschweiler? Da saßen doch die Werwölfe, wenn ich mich mich recht erinnere. Bei denen war ich sogar mal Ehrenmitglied. Ich meine, mich zu erinnern, dass der damalige Ordensführer Hay hieß, kann das sein? Wir waren Kosaken, wir waren zwar auch keine Kinder von Traurigkeit, aber wir klauten keine Hühner.
    Aber so erfährt man, dass es auch hier noch mehr ehemalige Nerother gibt. Horridoh! Nerother bleibt man aber irgendwie sein Leben lang, wenn man mal dabei war,
    Gruß Klaus (alias Klappe)

  17. #17
    spotty Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Ein ganz toller Bolide ... und damit und den wenigen PS über die Pässe?!? Wie war denn das bergab (aber das hast Du ja verpennt, Mist!) - da müssen doch die Bremsen schwer beansprucht worden sein.
    Ich wäre auch da gern dabei gewesen .. 1971 war mein erster "richtiger" Auslandsurlaub, also ohne die schützenden Elternhände, in Ungarn.

    Bin auf die Fortsetzungen gespannt!

    Gruss

    Spotty

  18. #18
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Spotty mou, lies doch bitte genauer :Knuddel:
    Ich bin von der Burg bis auf den Wurzenpass durchgefahren. Zwei Passabfahrten habe ich also nicht verpennt. Bergab gilt, und das weißt Du sicher, ebenso der kleine Gang ... dann halten auch die Bremsen und der "Bolide" - ja, ich habe die Ironie verstanden - hält auch weiter durch. :biggthump
    Klaus

  19. #19
    Manniki Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Ja Klaus da hast du Recht . Meine Tante hatte im Nachbarort ne Kneipe wo sich unsere Freunde trafen um gemeinsam die restlichen 3KM zu wandern , Oft Konnten einige erst Am Nächsten morgen ins Nest. Aber es war immer schön 5Gitarren und 10 Stimmen .Wenn du interesse hast habe noch viele Liedertexte .Ist heute noch schön alte Freunde zu treffen, das wird immer Spät,und der Alk ist auch nicht ohne.:):redf:
    Gruss Basi
    PS Hay alias " der rote Baron"ein gans lieber. Fährt heute mit ner Goldwing durch die Gegend.Ab und zu sehen wir uns im Baumarkt.

  20. #20
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo,

    super, ich fahre im Geist richtig mit !

    Es erinnert mich an unseren ersten, ähnlichen Trip in 1979 (bin ja ein paar Tage jünger als Klaus), als wir zu sechst, in einem uralten Fordbus, den wir aus einem Totalschaden wieder zusammengeflickt und hierfür auch als rollendes Wohnzimmer hergerichtet hatten, nach Schweden gereist sind.

    Abenteuer pur, Pannen am laufenden Band, aber einfach herrlich.

    Gruß hermann
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    Ist noch λ ? Ja, aber das φ ist noch ρ !

    Alle Infos über Frangokastello:http://www.Frangokastello-und-Meehr.de
    Unser aktueller Reiseblog:http://www.HerrMANaufReisen.wordpress.com

  21. #21
    plakias pihl Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    moin klaus , das spannenste , das ich hier im forum , seit mariannes fast täglichen berichten aus ihrer wahlheimat gelesen hab .
    also hau in die tasten, ich möchte mehr.

    gruß aus dem süden vom norden jens.

  22. #22
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Fein Klaus! :)
    Ich stelle mir das gerade in der heutigen Zeit vor...
    Zumal man an heutigen KFZ sogut wie nicht mehr selbst Hand anlegen kann. Selbst ein Glühlampenwechsel erfordert ja nunmehr schon eine Spezialausbildung...

    Grüßchen, Frankus
    ----- ----- Ohne Dampf kein Kampf!
    .

  23. #23
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Richtig Frankus,
    das war ja das Angenehme an der "guten alten Zeit". Erstens war man noch jung und dynamisch und zweitens waren die Autos noch einfach gestrickt und solide. Ich sehe es noch wie heute vor mir, wie ich unter der Kiste lag und fluchte. Aber schon bald geht es weiter ...

    Übrigens wurde ja schon mehrfach angesprochen, dass einige von Euch den Film zu dieser Fahrt bei mir schon gesehen haben. Um jedweden Fragen vorzubeugen: Leider kann ich Euch diese DVD nicht kopieren, auch wenn ich es wirklich gerne täte. Denn dieser alte Super8-Film wurde unter erheblichen Kosten (und erstaunlicher Qualität) auf DVD konvertiert. Und deshalb achte und beachte ich streng das Urheberrecht. Wer wider Erwarten ca. 20 Euro für 25 Minuten Film ausgeben will, kann von mir die Bezugsadresse per PM erfahren. Ich bitte um Euer Verständnis.
    So, jetzt schreibe ich noch ein wenig ... am Wochenende habe ich ja mehr Zeit. Was habe ich da bloß wieder angefangen, das wird noch ziemlich endlos, auch wenn es nach all den Jahren kein Tagebuch sein kann, sondern nur die Erinnerung an einige Erlebnisse ...
    Gruß Klaus

  24. #24
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus,

    klasse, genau das richtige um das lange, etwas ruhigere Winterloch hier im Forum zu füllen...und vor allem mal was ganz anderes!!!

    Weiter so!
    Gruß,Stephan:nuts:
    ...today is life, tomorrow never comes...

    Stillstand ist Rückschritt...aber das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht...

  25. #25
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    3. Szene

    Erste Kontakte mit der Polizei …
    Wir hatten den Stopp genutzt, um unser Wohnzimmer endgültig zum Spaßmobil umzufunktionieren. Alles Gepäck würde auf und vor die hintere Sitzbank in der Fahrerkabine umgeräumt sowie hinten die Planen rechts und links hoch gerollt und festgebunden. Die ganze Mannschaft bis auf Wanja und mich saß auf diese Weise fast frei in der griechischen Sommerfrische (allerdings hatten wir allen eingeschärft, dass der Hintern auf den Matratzen bleiben müsse, das Sitzen auf den Seitenwänden sei streng untersagt. Wir wollten schließlich niemanden verlieren).
    Alle waren von dieser Art des Reisens begeistert. Es zog kaum, denn erstens sind 80 Kilometer pro Stunde nicht unbedingt Raserei und zweitens schirmte die vordere Plane den meisten Fahrtwind ab. Und das bisschen, was sie abbekamen, war nur angenehm bei den Temperaturen, die inzwischen herrschten.
    Weiter Richtung Olymp. Der massige Gebirgszug war schon von weitem nicht zu übersehen. Wir bogen nach Katerini ein, um das einzukaufen, was wir in den folgenden Wochen immer wieder einkaufen würden: Fetakäse, Tomaten, Zwiebeln und Brot … Eigentlich haben wir uns all die Wochen mehrheitlich von diesen gesunden Sachen ernährt, wenn wir nicht zur Abwechslung mal selbst Nudeln mit … ja mit was wohl? … Tomaten kochten. Es hat allen geschmeckt und Mangelerscheinungen waren nicht zu beobachten.
    Katerini selbst fanden wir nicht berauschend und außerdem schrie die Jugend nach dem ersten Bad im Meer, dass nun schon seit einigen Kilometern unweit der Straße lockte.
    Wir erreichten die Abzweigung nach Litochoro (inzwischen wussten wir auch, wie das Dorf am Fuß des Olymp heißt), bevor wir aber hinauf fuhren, gaben wir dem allgemeinen Wunsch nach einem Bad nach, es war sowieso noch zu früh für die lockere Verabredung mit den anderen.
    Wer heute dort entlang fährt, wird diesen Küstenabschnitt komplett bebaut vorfinden, damals gab es da aber noch rein gar nichts. Es war alles unberührt und offen. Über einen Feldweg erreichten wir eine recht große, ebene „Wiese“ (grünes Gras war aber dort Ende Juli nicht mehr zu sehen), die problemlos zu befahren war. Zum Meer hinunter waren es nur ein paar Schritte über einen „Miniaturhang“. Es gab zwar nicht die Spur von Schatten, aber das störte uns wenig. Jetzt erst mal ab ins Wasser.
    Nach stundenlangen Wasserschlachten waren wir uns einig, dass dies ein guter Schlafplatz auch für die Nacht sein würde. Wir machten uns dorffein (siehe angehängtes Foto, das zwar nicht aus Griechenland, aber aus dem gleichen Jahr stammt – ja, wir waren in „Kluft“ unterwegs, was uns manchmal durchaus hilfreich war. Wir hatten auch schon das griechische Wort für „deutsche Pfadfinder“ gelernt: Γερμανοί πρόσκοποι = Jermani Proskopi, denn alle Griechen wollten natürlich wissen, was unsere Halstücher und Baretts zu bedeuten hatten).
    Allmählich neigte sich nämlich der Nachmittag dem Ende zu und wir freuten uns a) auf unseren ersten Besuch einer griechischen Taverne und b) waren wir gespannt, inwieweit unsere lose Verabredung auch unsere Freunde pünktlich nach Litochoro führen würde.
    Bevor wir aber in „die erste Kneipe links“ einkehrten, fuhren wir im Dorf ganz nach oben bis zum Dorfplatz (woanders konnte man mit unserer Kutsche sowieso nicht gescheit drehen). Auf dem Weg zurück erscholl plötzlich von hinten ein Sprechchor: „Souvlaki, Souvlaki …“. Ich bremste, denn unsere Jungs hatten rechts neben der Straße ein kleines Souvlatsidiko entdeckt. Ich schaute Wanja, unseren Zahlmeister, an: „Haben wir Zeit und Geld? Darauf hätte ich jetzt auch Lust …“
    „Zeit haben wir sicher, wir sind auf Fahrt. Und das Geld wird auch reichen …“
    Also ließ ich den Wagen stehen, wo erstand, und wir fielen in das winzige Lokal mit zwei Tischlein ein. Es war zum Glück vorher ganz leer gewesen, jetzt war es voll. Der Wirt, ein grauhaariger alter Mann, schmunzelte, als er die adrette Truppe sah. Er beeilte sich, viele kleine Spießchen auf die Holzkohlen zu legen. Pro Person vertilgten wir fünf Stück mit viel Brot, unsere erste griechische Mahlzeit. Dazu gab es Limo für die Kurzen und den ersten Malamatina-Retsina (die kleinen knubbeligen Fläschchen mit dem grünen Männchen mit dem Schlüssel im Bauch – wer kennt sie nicht) für die Erwachsenen. Die Preise waren unglaublich … für die ganze Völlerei zahlten wir, wenn ich mich noch richtig erinnere, knapp 30 DM (für 8 Personen).

    Nebenbei bemerkt, die Einkehr in dieses kleine Lokal wurde in all den Folgejahren so etwas wie ein Ritus oder Pflichtprogramm. Die alten Wirtsleute erkannten mich trotz anderer Begleitung im nächsten Jahr (drei Mädels statt sieben Jungs) sogar wieder – und dann sowieso immer wieder. Irgendwann saßen sie dann aber nur noch vor dem Haus, das Lokälchen war geschlossen und wir tranken nur noch einen Kaffee miteinander. Und irgendwann zwei Jahre später war der Mann gestorben und ich traf nur noch die Frau an … an diesen Dingen merkt man, dass die Zeit gnadenlos vergeht und man älter wird.

    Nachdem wir also zufrieden und ebenso gesättigt wie unternehmenslustig waren, ging es in die besagte „erste Kneipe links“ hinunter. Siehe da, der erste Wagen unserer Freunde war bereits eingetroffen, Fränz’ R4 stand schon vor dem Lokal.
    Er und drei andere saßen schon vor ihrem Ouso. Großes Hallo …
    Machen wir es nicht zu episch: Im Laufe des Abends trafen noch drei weitere Fahrzeuge ein, die Gruppe wurde immer größer, irgendwann wurden auch die Gitarren aus den Autos geholt und die Einheimischen wurden staunend Zeuge, wie perfekt deutsche „Pfadfinder“ griechisches Liedgut vergewaltigen konnten. Da wurde ein Syrtos als Kalamatianos gesungen … und den Griechen gefiel es trotzdem, dass da etwa 20 deutsche Jungs saßen und griechische Lieder sangen.
    Es blieb nicht aus, dass Retsina und Ouso reichlich flossen (leider auch durcheinander, und das ist tödlich). Zu noch früher Stunde steckte ich Wanja den Autoschlüssel zu.
    „Egal, was ich nachher sage, gib ihn mir um Himmels willen nicht wieder.“
    Irgendwann blieb ein Polizist neben uns stehen und betrachtete sich das Schauspiel. Irgendwie verstand ich seinen amtlichen Gesichtsausdruck falsch und begann ihn zum Glück auf Deutsch – Griechisch konnte ich nicht – heftig zu beschimpfen. Wie es dazu kam, kann ich mir bis heute nicht erklären, denn eigentlich machte mich Alkohol noch nie aggressiv. Dann stand ich auf und wollte auf ihn zugehen … und fiel samt der Ousokaraffe, die ich in der Hand hielt, rückwärts zwischen die Tische. Mein Gott, wie war das peinlich! Er schüttelte nur den Kopf und ging davon, ich hatte also Glück, er hatte mich wohl nicht verstanden.
    Danach hatte ich noch einmal Glück, denn mein beharrliches Drängen, mir den Autoschlüssel wiederzugeben, erhörte Wanja nicht, und das war auch gut so …

    Wieder unten auf der bereits erwähnten Wiese schaffte ich es gerade noch, meinen Schlafsack zu packen und mich ein paar Meter vom Auto zu entfernen. Dann fiel ich Augenzeugenberichten zufolge einfach um und versuchte minutenlang vergeblich in den Schlafsack zu kriechen (falls sich jemand jetzt an die Anfangsszene des „Kopflosen von Kreta“ erinnert fühlt, weiß er jetzt, woher sie kommt). Irgendwann schlief ich einfach neben dem Schlafsack ein … und erwachte am nächsten Morgen unter brennender Sonne mit einem Schädel, der seinesgleichen suchte. Irgendwie schaffte ich es dennoch, zum Meer hinunter zu gelangen und ließ mich immer noch voll bekleidet einfach ins Wasser fallen.
    Wie man sieht, ich bin nicht ertrunken, aber ich schwor mir mit Erfolg, dass das für diese Tour das erste und letzte Mal gewesen sein sollte.
    Als ich einigermaßen wiederhergestellt zum Auto zurückkehrte, war das Frühstück schon bereitet. Es bestand wie erwartet aus Feta, Tomaten, Zwiebeln und Brot … herrlich.
    Dazu mehrere Tassen löslichen Kaffees … und schon war die Welt wieder in Ordnung.

    Nach dem Frühstück brachen wir auf, denn wir wollten die Fähre nach Kreta erreichen. Ich saß trotz immer noch dickem Kopf am Steuer und fuhr brav wie die Einheimischen auf der Standspur. Nach der Fahrerei durch Jugoslawien fühlte man sich hier wie auf einer Autobahn.
    Und da wir ein großes Auto hatten, luden wir so ziemlich jeden Tramper ein – Engländer, Österreicher, Australier – und ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass nach und nach mindestens 15 Leute auf der Ladefläche saßen. Und es ging dort lustig zu, man musizierte, sang und lachte …

    Und dann kam der Moment, als ich im Rückspiegel den Streifenwagen entdeckte. Damals fuhr die griechische Polizei noch diese riesigen amerikanischen Limousinen. Er kam nur sehr langsam näher (wir fuhren immer noch auf der Standspur).
    „Wanja, es könnte sein, dass wir Probleme kriegen!“
    „Wieso?“
    „Polizei hinter uns, und die scheinen uns zu beäugen. Dürfen wir hier überhaupt mit so vielen Leuten auf dem Auto …?“
    Das konnte auch er nicht beantworten, also hieß es abwarten und ganz normal weiterfahren. Der Streifenwagen schob sich neben unser Hinterteil, von dem unbeeindruckt weiterhin handgemachte Musik erklang.
    Und dann machten sie Blaulicht und Sirene an. Sch…. Aber sie blieben neben uns und zogen nicht vorbei, um uns zu stoppen. Ich überlegte, was das für einen Sinn machte? Doch dann sah ich, wie die Polizisten unserer Bagage hinten lachend zuwinkten. Wir waren offensichtlich für sie eine erheiternde Fuhre und nichts Verkehrswidriges. Und dann machten sie das Getöse auch wieder aus und stoben winkend davon. Auch der zweite Kontakt mit der griechischen Polizei verlief also harmlos – es würde nicht der letzte sein.

    Der Rest der Fahrt bis Piräus verlief ohne besondere Ereignisse. Wir wuselten uns durch den atemberaubenden Verkehr der Hauptstadt und erkannten schnell, dass ein Blinker nicht weiter beachtet wird. Wesentlich effektiver war ein kurz nach außen gestreckter Arm und man wechselte einfach die Fahrspur, der Hintermann akzeptierte das, weil er es genau so machte.
    In Piräus fanden wir die Ticketbüros recht schnell und konnten unsere Passage nach Souda auch für den gleichen Abend buchen. Die zwei Stunden bis zum „Boarding“ verbrachten wir relaxend auf einer Mini-Grünfläche vor den Büros, dann parkte ich den Wagen in der Fähre ein und wir stiegen auf das Oberdeck, um von dort zu beobachten, wie riesige Lastwagen rückwärts auf die Fähre fuhren. Es war ein Chaos, aber es schien dennoch geregelt.

    Irgendwann dann legte das Schiff ab. Die Nacht an Deck, auf dem wir uns schließlich in die Schlafsäcke rollten, war nicht so lang wie die vorige. Aber wir hatten schon unseren Spaß, während das Schiff in der Dunkelheit nach Kreta fuhr. Morgen würden wir endlich dort ankommen …
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  26. #26
    MaNischma Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Ist ja scharf das Photo! Bist oder vielmehr warst Du das, Klaus??
    Text und Bild machen wirklich Lust auf mehr.

  27. #27
    spotty Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Klaus, fast habe ich das Gefühl, Du wärst wieder richtig zurück gekommen in diese Zeit ... liest sich wirklich prima und genau die richtige Beigabe für den nachmittäglichen Kaffee!

    Gruss
    Spotty

    Was heißt eigentlich *fast* ??? Ich habe das Gefühl!

  28. #28
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus,

    schon vorab ein großes Dankeschön.
    Nach jeder Szene bin ich in freudiger Erwartung!
    Gruß, Wolfgang.

    Wer den Blick nur in die Ferne richtet, übersieht leicht die Blumen, die zu seinen Füßen wachsen.

  29. #29
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Zitat Zitat von MaNischma Beitrag anzeigen
    Ist ja scharf das Photo! Bist oder vielmehr warst Du das, Klaus?? .....
    Ich würde mal sagen ja, das ist bzw. war Klaus! :biggthump

    Grüßchen, Frankus
    ----- ----- Ohne Dampf kein Kampf!
    .

  30. #30
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo, Klaus

    bin auch im Frühjahr 1971 aus der Bundeswehr entlassen worden.
    Waren mit den Sportkumpels auch mit dem VW-Bus unterwegs uns hat es aber leider nur bis zur albanischen Grenze gereicht, dann wurde es uns zu abenteuerlich und sind am Ada-See geblieben.
    Dein Bericht weckt Erinnerungen.

    Jassu kretagegge

  31. #31
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Klaus, phantastisch! Nie werde ich meine 1. Überfahrt an Deck bei Nacht nach Heraklion vergessen! Hast du zu deinen schönen Erinnerungen noch Fotos aus der Zeit? Das würde mich interessieren!

    Mach weiter so, Dorli
    Und gingest Du bis ans Ende der Welt, Du findest keine Insel wie diese!

    N.Kazantzakis

  32. #32
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Freut mich, dass es einigermaßen zu gefallen scheint! :):):)

    Ja, so habe ich mal ausgesehen, NaMischMa, fesch, was? Das war die Festtagskluft in weiß, wir hatten diese Blusen auch in marineblau und so liefen wir normalerweise rum. Das Halstuch war orange mit schwarzen Streifen, die Farbe der Kosaken, die auch "zufällig" die Farben der Byzantiner waren und die man auf Kreta deshalb in Fähnchenform gerne auf Festen sieht.

    Spotty,
    Du hast Recht. Wenn ich da so in meinen Erinnerungen krame, bin ich auf einmal wieder zurück in jener Zeit. Erst, wenn ich dann vom Schreibtisch aufstehe, fällt mir wieder auf, dass diese Transformation doch nur im Geist stattgefunden hat ...:krücken:

    So jetzt schreibe ich noch ein bisschen, aber ich denke, es wird erst morgen wieder so weit sein ...
    Gruß Klaus
    Geändert von Kreta-Klaus (26.January.2008 um 21:42 Uhr)

  33. #33
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Nein, Ihr kriegt auch heute noch ein kleines Häppchen

    4. Szene
    Ich fühlte es: Das leichte Vibrieren der Schiffsmotoren, das mich die ganze Nacht begleitet hatte, veränderte sich. Ich steckte den Kopf aus dem Schlafsack, richtete mich auf und schaute mich um. Es dämmerte, die Sonne war aber noch nicht hinter dem Horizont aufgetaucht. Ich sah Berge links des Schiffes … wir waren angekommen. Die Fähre war bereits in die Soudabucht eingelaufen und war dabei, anzulegen. Ich weckte die anderen. Wanja stieg in den Bauch des Schiffes hinunter, denn er hatte die Aufgabe übernommen, das Auto heraus zu fahren. Ich stellte mich an die Reeling und beobachtete das Treiben unten. Und entdeckte bei der Gelegenheit ein Auto, dass ich kannte. Ernst war schon da, ein lieber Freund aus Wabern, der leider schon lange nicht mehr lebt. In seinem VW 1500 Variant, der jetzt da unten auf uns wartete, hatte ich schon viele Kilometer miterlebt.
    Das Ausschiffen ging recht schnell, und als ich Ernst gegenüber stand, grinste er mich an.
    „Wir sind schon seit zwei Tagen hier. Wir haben einen herrlichen Platz entdeckt.“
    „Na, dann nichts wie hin.“
    Wir folgten dem Variant aus Souda Richtung Rethymnon heraus bis zum Fort Izzedine (damals wusste ich natürlich noch nicht, wie es heißt), dort war damals das kurze Stück der „New Road“ schon wieder zu Ende und wir mussten links um das Fort herum auf der alten Straße weiter fahren. Schon wenige hundert Meter bogen wir links ab und folgten einem staubigen Fahrweg zum Meer, der vor bzw. hinter einem Lokal endete. Es war immer noch leicht dämmerig, so sahen wir erst einmal nicht, dass wenige Meter hinter dem Parkplatz ein Süßwasserfluss ins Meer mündete.

    Ungeachtet der Tatsache, dass es noch nicht so ganz richtig Tag war, stürzte die Meute der Kurzen zum Meer, es waren nur ein paar Meter. Ich hingegen folgte Ernst ins Lokal, in dem man gerade dabei war, sich auf den Tag vorzubereiten.
    „Kriegt man hier was zu frühstücken?“
    „Nein, glaube ich nicht, das ist eine Taverne. Aber man isst hier hervorragend!“
    Ein Junge von höchstens sechs Jahren kam an unseren Tisch und fragte nach unseren Wünschen. Er sprach selbstverständlich nur Griechisch. Aber mit Hilfe der Karte erkannte ich, dass an ein „normales“ Frühstück nicht zu denken war, und so bestellten Ernst und ich uns eine Portion Feta, einen großen Teller Oliven und eine Karaffe Wein. Bis zu diesem Tag mochte ich eigentlich keine Oliven, aber seit diesem Tag liebe ich sie.
    Obwohl wir uns so viel zu erzählen hatten, sprachen wir kaum, sondern ließen die Ruhe und Schönheit des Augenblicks auf uns wirken. Und als sich in diesem Moment auch noch die Sonne über den Tafelberg des Drapanos nach oben schob, war das der Moment, in dem ich mich unwiderruflich in Kreta verliebte. Und dabei hatte ich von dieser Insel sonst noch gar nichts gesehen. Ich saß sprachlos da und das will bei mir etwas heißen.
    Als wir später noch zum Fluss spazierten, fiel mir nur ein einziges Wort ein: Paradies.
    Der kleine Junge, der uns an diesem Morgen bedient hatte, heißt Nikos. Heute ist er der Inhaber der Taverne und hat selbst einige Kinder. Sein Vater Ilias ist leider 2005 gestorben. Ilias war ein absolut feiner Mensch, für ihn passt diese Bezeichnung. Er war niemals kumpelhaft, aber er war ein guter Freund. Als ich 2005 mit einigen Forumsfreunden im Lokal war, machte einer der Söhne seine Witwe darauf aufmerksam. Sie stand auf und wollte an unseren Tisch kommen, um mich zu begrüßen. Ich ging ihr entgegen, und ihr herzliches Lächeln trotz des kürzlichen Verlustes rührte mich derart, dass ich wirklich mit Tränen in den Augen kein Wort fand. Aber als sie mich umarmte, wusste ich, sie hatte mich verstanden.

    Wir blieben drei Tage dort. Im Lokal nahmen wir nur die üblichen Dinge wie Salat und Brot zu uns, einmal durfte es auch Fleisch sein, ansonsten gewöhnten wir uns an Kreta, badeten im Meer und im Fluss und ließen es uns gut gehen. Geschlafen wurde am Strand.

    Am vierten Tag aber hieß es: Was machen wir jetzt? Das Ergebnis hieß dann Samaria-Schlucht. Warum es ein voller Erfolg war und warum ich dieses Mal noch nicht mitgelaufen bin, das lesen wir demnächst …

    Gruß Klaus
    Geändert von Kreta-Klaus (27.January.2008 um 13:19 Uhr)

  34. #34
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Dorli,
    ich hatte damals gar keinen Fotoapparat. Es gibt nur diesen bereits erwähnten Film.
    Gruß Klaus

  35. #35
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    5. Szene

    Nach Süden nun sich lenken, die (Wander)Vöglein allzumal …
    Es ist noch früh, als ich den Motor anlasse. Einige der Jungs waren so schlau, sich gleich auf dem Auto schlafen zu legen und bleiben so einfach noch ein Weilchen liegen. Die anderen bereiteten den Proviant vor, denn auf der Wanderung, die vor uns liegt, will man sich ja auch zwischendurch mal stärken können. Wenn ich hier schreibe „vor uns“, dann traf das für mich leider diesmal nicht zu, denn ich habe die Auslosung, wer von uns beiden (Wanja und mir) mitwandern und wer das Auto von Omalos nach Chora Sfakion bringen würde, „verloren“. Ich war also der Fahrer und würde die Samaria frühestens im nächsten Jahr von innen sehen (insgesamt bin ich in den Folgejahren vier Mal durchgelaufen, aber das wäre eine andere Geschichte).
    Kurz hinter Chania ging die Sonne auf, und während der Fahrt in die Lefka Ori hinauf genossen wir immer wieder den Blick zurück auf das Ägäische Meer, das in der Morgendsonne glitzerte, als hätte man Silber auf das Wasser gegossen.
    Gegen neun Uhr kamen wir am Schluchteingang an. Insgesamt zehn – wir hatten auch noch Insassen der anderen Wagen dabei – machten sich auf den Weg. Johnny hatte sich gestern den Fuß verstaucht und würde mir nun für den Rest des Tages und die Fahrt nach Süden Gesellschaft leisten. Wir verfolgten die Wanderer noch eine Weile bei ihrem Abstieg in die Schlucht mit den Augen und sahen uns an der beeindruckenden Landschaft hier oben satt, bevor wir dann auch selbst aufbrachen. Die engen Kurven zu fahren, machte mir immer mehr Spaß.
    Dann hatten wir wieder die Nordküste erreicht und fuhren ostwärts Richtung Vrysses. Die Gegend zwischen Kalyves und Vrysses (wie schon erwähnt, gab es hier damals die „New Road“ noch nicht, die endete ja beim Fort Izzedine) gehört zu den landschaftlich schönsten Kretas, man fährt tatsächlich durch einen richtigen Wald.
    Wir stoppten kurz, um einigen Köhlern bei der Arbeit zuzusehen. Leider fiel uns damals die Kommunikation noch ziemlich schwer, vor allem, weil ich die vollkommen falsche Aussprache der einigen wenigen Vokabeln, die mir Wanja auf der Fahrt beibrachte, von ihm auch übernommen hatte.
    Dann gab ich den 54 Pferdchen wieder ordentlich Zucker und so kam es natürlich, wie es kommen musste. Niemals hatte ich in den folgenden Jahren so viel Kontakt mit der Polizei wie in diesem ersten. Es kommt mir im Nachhinein so vor, als sei die Staatsmacht damals noch viel präsenter gewesen als heutzutage, nun, das kann auch möglich sein, denn es war noch die Zeit der griechischen Militärjunta. Ansonsten bemerkte man als Ausländer nicht sehr viel davon, wenn man mal von den vielen Propagandaplakaten absah, auf denen immer wieder der Soldat vor dem Phoenix abgebildet war …
    Aber jetzt zurück zur Geschichte. Wir fuhren nach Vrysses hinein. Die Einfallstraße von Westen her ist ein langes Stück schnurgerade und gut zu übersehen, also dachte ich mir nicht viel dabei, als ich ein altes klappriges Dreirad vor mir mit der Hupe an die Seite scheuchte und zügig überholte. Das hätte ich allerdings besser gelassen, denn noch während ich mich wieder zurück auf die rechte Straßenseite bewegte, trat etwa 50 Meter vor uns ein Uniformierter aus dem Schatten eines Straßenbaumes (wo ich ihn natürlich nicht hatte sehen können) und hob gebieterisch die Hand. Notgedrungen hielt ich also an. Da ich keine Ahnung hatte, wie man sich in Griechenland in einem solchen Fall am besten verhielt, blieb ich einfach im Auto sitzen und harrte der Dinge, die auf uns zukommen würden.
    Sie kamen sehr gemessenen und selbstbewussten Schrittes, wie ich im Rückspiegel beobachten konnte. Der Polizist lugte durch einen Schlitz der Plane, die wir jetzt wieder geschlossen hatten, um festzustellen, ob wir irgendwelche heiße Ware geladen hatten.
    Dann kam er an der Fahrerseite immer noch aufreizend langsam nach vorne. Seine Miene war mehr als amtlich, als er mich musterte. Dann aber glitt sein Blick von mir ab und zu unserem 12-jährigen Johnny auf dem Beifahrersitz. Ich erwähnte es noch nicht: Johnny war ein zartes Bürschlein mit einem sehr hübschen Gesicht und schulterlangen blonden Haaren. Ich weiß nicht, ob der Beamte ihn als Mädchen einschätzte oder ob das Geschlecht eigentlich egal war, jedenfalls aber ging im Gesicht des Polizisten eine bemerkenswerte Änderung vor sich, die sich mit Worten kaum beschreiben lässt. Ich will es trotzdem einigermaßen versuchen: Seine Augenbrauen zuckten ebenso erstaunt wie erfreut nach oben und ein fast seliges Lächeln verklärte sein eben noch strenges Gesicht. Johnny lächelte ihn wohl schüchtern an – ich weiß es nicht, denn ich behielt den Polizisten im Auge – denn dessen Lächeln unter dem exakt gestutzten schmalen Bärtchen wurde immer breiter. Innerlich atmete ich auf, denn wenn er so aussah wie ein verliebter Ameisenbär, konnte es nicht so schlimm werden.
    Dann schaute er mich wieder an, wobei sich sein Gesichtsausdruck nur unwesentlich veränderte:
    „Where are you from?“
    „We are from Germany. Jermani proskopi“ (deutsche Pfadfinder, ich erwähnte es bereits).
    Sein Lächeln verstärkte sich abermals.
    „Where are you going?“
    „Chora Sfakion.“
    „Oh, I’m from there. Have a good travel, and …“ er hob kurz mahnend den Zeigefinger … „siga siga!“ (Immer langsam voran!).
    Ich nickte ergeben: „Yes Sir, thank you …“
    Mit einer kurzen, aber hoheitsvollen Handbewegung waren wir entlassen. Ganz sanft ließ ich den Wagen wieder anrollen und schaute hinter der nächsten Kurve kurz zu Johnny hinüber.
    „Ich habe mich ja schon vorher gefreut, nicht alleine fahren zu müssen, aber jetzt gebe ich dir einen aus, soviel Taschengeld hat Wanja mir gegeben.“
    Er verstand nicht sofort.
    „Wieso das denn jetzt?“
    „Weil mir deine Anwesenheit vermutlich ziemlichen Ärger erspart hat. Was soll’s, musst du nicht verstehen. Willst du eine Limo oder eine Cola? Und übrigens, lass dir bloß nicht die Haare schneiden!“
    Er verstand mich wohl immer noch nicht so ganz, aber wir mussten beide herzhaft lachen, während wir Vrysses gen Süden wieder verließen. Wir schraubten uns wieder in die Berge hinauf, überquerten die Askifou-Ebene und fuhren dann entlang der Imbros-Schlucht (ich muss wohl kaum erwähnen, dass ich alle diese Namen erst Jahre später in meinem Hirn speicherte).
    Als sich der Blick auf das Libysche Meer vollend vor uns öffnete, konnte ich nicht anders, ich fuhr rechts ran auf einen kleinen Schotterparkplatz und wir schauten minutenlang schweigend auf diese großartige karge Landschaft. Die Straße wand sich in vielen Schleifen nach unten, das Meer dahinter lag ruhig in der gleißenden Sonne … einfach überwältigend. Nach einer Weile ließ ich den Motor wieder an und wir rollten gemächlich nach unten. Der sonst so vorlaute und lebhafte Johnny saß mit offenem Mund ganz still und klein neben mir und brachte kein Wort heraus. Mir ging es allerdings nicht viel anders.
    Erst als wir mehr oder weniger unten waren, löste sich allmählich dieser Bann.
    „Ey großer Bruder, das ist echt super hier.“
    „Ja, das ist es, und ich bin sicher, dass ich hier nicht zum letzten Mal war.“
    „Hast du nicht immer gesagt, du fährst nicht zwei Mal auf die gleiche Insel?“
    „Ach, Johnny, mein Vater sagt immer – und ich glaube, das stammt vom ollen Adenauer: ‚Was gebe ich auf mein dummes Geschwätz von gestern.’ Verlass dich drauf, hier fahre ich weitaus mehr als einmal hin …“ Das bestätigte sich, wie allgemein bekannt ist.

    Wir parkten den Wagen in Chora Sfakion und erkundeten erst einmal das Dorf. Nun, es gab nicht viel zu erkunden und so setzen wir uns an die Hafenpromenade und verprassten das uns vom Zahlmeister gewährte Taschengeld. Wir aßen ein göttlich gutes Moussaka, ich trank meinen Wein (Bier war damals einfach zu teuer) und Johnny freute sich an mehreren Flaschen Limonade.
    Der Nachmittag war schon ziemlich fortgeschritten und wir machten uns allmählich ein par Gedanken, wann denn der Rest der Truppe aus der Samaria endlich eintreffen würde.
    Plötzlich erregte eine größere Gruppe von Männern in Anzügen, die die Promenade entlang kamen, unsere Aufmerksamkeit, auch deshalb, weil in den umliegenden Lokalen die Einheimischen aufstanden und applaudierte. Vorne weg schritt ein mittelgroßer Mann mit einer kompletten Glatze in selbstbewusster Haltung, der freundlich nach links und rechts grüßte. Dann wanderte er mit seinem Tross zu einer Luxusyacht, die ich schon seit einiger Zeit bewundert hatte. Wenig später legte das Schiff ab …

    Natürlich war ich jetzt neugierig geworden und so fragte ich den Kellner, als er eine neue Karaffe Wein brachte, wer der Herr denn sei. Er blickte sich scheu um.
    „This was General Pattakos!“
    „From the Junta?“
    „Yes, but it is better …“
    “OK, OK, I understand …”
    Während der Kellner sich entfernte, lief das Boot aus der Samaria in den Hafen ein. Wir erkannten unsere Freunde an Deck.
    „Na, dann scheint ja alles glatt gegangen zu sein.“
    Sie waren nur durstig. Nach einer Stunde aufgeregten Geschnatters, jeder wollte mir aus seiner Sicht erzählen, wie toll es gewesen war, bestiegen wir wieder unser Wohnmobil und rollten nach Osten. Wir rollten allerdings sehr gemächlich , denn die Strecke Richtung Frangokastello und Plakias war damals noch in einem sehr mäßigen Zustand. Von Asphalt keine Spur, und so stiegen am folgenden Tag manche der Jungs auch einfach aus und liefen neben dem Wagen her … aber am folgenden Tag sind wir noch nicht!
    Bei Frangokastello parkten wir den Wagen am Strand und warteten dort auf Ernst und Fränz, die am nächsten Vormittag tatsächlich eintrafen. Es lebe die nicht organisierte Organisation, so viel hatten wir von den Kretern inzwischen gelernt.

    Bald geht es weiter … und um es noch einmal zu betonen, ich habe nichts davon erfunden, es war wirklich genau so! Ich hoffe, es langweilt noch nicht ... ich meine, weil so gar keine Reaktionen mehr kommen. Das muss sicher auch nicht sein, aber wenn es langweilt, sagt es.:ANGEL:

  36. #36
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Schön, dass Du uns alle auf diese Reise mitnimmst
    LG Reinhilde

    Wenn du nicht kämpfst, dich nicht bemühst, hast du nicht das Recht zu hoffen.

  37. #37
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus ,
    es langweilt überhaupt nicht ganz im Gegenteil, ich merke mal wieder, wie schade ich es finde, dass ich die Insel erst vor 10 Jahren das erste mal besucht habe, wo so vieles schon so gut "organisiert" war...aber wie heißt es man soll ja auch nicht zu früh im Leben nach Kreta kommen, sonst sieht man nichts anderes mehr :)
    messara

  38. #38
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    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Zitat Zitat von Kreta-Klaus Beitrag anzeigen
    ...
    Bald geht es weiter … und um es noch einmal zu betonen, ich habe nichts davon erfunden, es war wirklich genau so! Ich hoffe, es langweilt noch nicht ... ich meine, weil so gar keine Reaktionen mehr kommen. Das muss sicher auch nicht sein, aber wenn es langweilt, sagt es.:ANGEL:
    Es langweilt wirklich nicht.:grin:
    Es finde es aber besser, wenn hier überhaupt keiner postet, damit man besser sehen kann, wenn es weitergeht.
    MfG Günt(ohne h)er
    εν οιδα οτι ουδεν οιδα (Σωκράτης )

  39. #39
    Henry Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Hallo Klaus,

    Du schreibst ja in tempo wie Egon Erwin Kisch. Und um Deine Frage zu beantworten, es langweilt mich noch immer nicht. :)

    Mache weiter so. :biggthump

    Henry

  40. #40
    Kreta-Klaus Gast

    Standard AW: Kreta 1971 - Erinnerungen

    Ich finde es aber besser, wenn hier überhaupt keiner postet, damit man besser sehen kann, wenn es weitergeht.
    Das Günter, ist ein Argument ... danke.

    Henry,
    da ich aber von der Firma beauftragt wurde, noch ein wichtiges Skript zu verfassen, muss ich ab morgen ein bisschen kürzer treten. Na ja, es wird ja nicht zu Entzugserscheinungen führen. Und eigentlich schreibe ich gerade an dem neuen Krimi für 2009.

    Andererseits, das was ich hier zu Gehör bringe, ist ja nichts besonders Kompliziertes. Ich krame ja nur so ein wenig im Hinterkopf rum.

    Gruß Klaus

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