Hallo,
wie ich anderswo schon schrieb, rutschen mir die Jahre manchmal ein bisschen durcheinander. Außerdem habe ich eigentlich immer nur Erinnerungen an einzelne Episoden, so dass sich ein durchgängiger Reisebericht nicht lohnt.
Also gibt es das jetzt in mundgerechten Häppchen.
1. Ladung
Bousoukiunterricht für Kostaki
Kostaki war der kleine, elend dicke Sohn von Jannis aus Kokkinos Pyrgos. Heute ist nicht mehr klein, aber noch immer elend dick. Trotzdem hat er eine Frau gefunden und ist selber Vater …
Zurück in die Vergangenheit: Er hatte von irgendwoher ein Bousouki bekommen, auf dem er Tag und Nacht herumklimperte, allerdings ohne jeden Plan. Eines Tages hielten meine Nerven das nicht mehr aus und ich setzte mich zu ihm an den Tisch und brachte ihm die Melodien einiger einfacher griechischer Lieder bei. Da er natürlich von Noten keinen Schimmer hatte, schrieb ich ihm das Ganze nach dem Schema „Saite-Bund“ im Klartext auf.
Das begriff er erstaunlich schnell, übte wie ein Wilder und schon nach wenigen Tagen konnten wir ein paar Lieder zusammen spielen.
Wir übten also fast jeden Nachmittag, wenn es mir ohnehin zu heiß war, an den Strand zu gehen.
Und abends präsentierten wir das Erlernte gerne dem begeisterten Publikum. Da ich dazu auch noch sang, erfand Jannis folgende Geschichte:
„Das ist meine Sohn Nikos aus Deutschland. Ich gefahren auf Schiff und habe Mama kennen gelernt in Hamburg.“
Das erzählte er immer wieder und schmückte die Story jedes Mal prächtiger aus. Und der Witz war, dass die meisten ihm glaubten, auch die Einheimischen. Erst als mich eine Verwandte von Jannis mit Tränen in den Augen umarmte, weil sie einen neuen „Neffen“ kennen lernte, entschied ich, dass die Story allmählich ein Ende haben sollte. Ich bat Jannis, damit aufzuhören und innerhalb einiger Jahre geriet das Ganze allmählich in Vergessenheit …
„Du wollen Garides, kriegst du Garides“
1977 eröffnete schräg gegenüber von Jannis’ Lokal eine sehr gute Taverne, die von Kyriakos betrieben wurde. Kyriakos hatte eine Freundin, die als Tramperin nach Kreta gekommen war und sich in ihn verliebt hatte, Heidi aus Österreich.
Ich erzählte bereits, dass Jannis uns als sein persönliches Eigentum betrachtete und tödlich beleidigt gewesen wäre, wenn wir mal woanders gegessen hätten. Allerdings wurde Yvonne das Essen bei Jannis zu eintönig und so schlich sie sich heimlich abends hinten herum aus der Taverne heraus und zu Kyriakos und Heidi hinüber.
Das wiederholte sie noch ein paar Mal und irgendwann kriegte Jannis es spitz.
Erbost stellte er Yvonne zur Rede. Aber sie lieferte ihm eine plausible Begründung: „Janni, ich esse nun mal so wahnsinnig gerne Garides (Garnelen) und die gibt es bei dir doch nicht!“
Jannis ließ sich nicht anmerken, ob er mit der Begründung einverstanden war. Aber als wir am nächsten Abend wieder in seinem Lokal beisammen saßen, servierte er Yvonne plötzlich wortlos einen großen Teller mit Garides. Sie war überrascht, freute sich aber sehr und futterte alles auf.
Am nächsten Morgen servierte Jannis ihr statt eines Frühstückseis … Garides: „Du wollen Garides, kriegst du Garides.“
Mittags und abends das selbe Spiel. Und am nächsten Morgen wieder … Allmählich hingen nun auch Yvonne die Garides zum Hals heraus, aber Jannis beschied sie nur: „Ich haben 50 Kilo gekauft, jetzt du sie essen!“ Also machte sie tapfer weiter und ich half ihr ein bisschen dabei … bis wir hinter dem Haus zwei leere Pappkartons fanden. Als wir lasen, was darauf geschrieben stand, durfte Jannis die übrigen Garnelen an die Katzen verfüttern: „Fischköder aus Afrika!“
Wie wir auf einer Hochzeit versehentlich fast verhungerten
Eines Abends fuhren Jannis und seine Frau Stella auf die Hochzeit eines Verwandten nach Agia Paraskevi. Das heißt, ich fuhr, denn wir wurden kurzerhand mit eingeladen.
Der Bräutigam war der junge Pfarrer von Agia Paraskevi, ein vollbärtiger gut aussehender Mann.
Bis die Hochzeit begann, nahmen wir noch einen kleinen Aufwärmtrunk im örtlichen Kafenío zu uns. Ich wunderte mich ein wenig, dass hier an der Wand zwei Fotos des Junta-Generals Stylianos Pattakos hingen, den ich 1971 „kennen“ gelernt hatte und der inzwischen im Gefängnis saß. Ich fragte Jannis danach, aber der erklärte mir, Pattakos gehöre fast das ganze Dorf und er sei hier sehr beliebt, egal was für ein Verbrecher er sei.
Dann ging es zum Hochzeitshaus. Das ganze Dorf war eingeladen. Die eigentliche Hochzeit hatte schon stattgefunden und die Gäste saßen bereits an langen Tischen und tafelten. Jannis entdeckte einen Freund und verschwand, während Stelle uns an den Tischen mit den Leckereien vorbei zur Küche zog. Dort wies man uns zwei Stühle zu, gab uns Wein und kümmerte sich dann praktisch nicht mehr um uns, denn in der Küche herrschte ein geschäftiges Treiben. Acht bis zehn Frauen wuselten durcheinander und schleppten immer wieder Essen nach draußen.
Wir waren hungrig, denn wir hatten in „weiser“ Voraussicht nicht zu Mittag gegessen. Doch außer ein paar Apfelschnitzen wurde uns nichts angeboten. Wir saßen einfach dort und warteten, ohne zu wissen, auf was eigentlich, denn unsere griechischen Sprachkenntnisse waren noch bescheiden. Gefühlte 5 Stunden vergingen – vier waren es aber bestimmt – und der Hunger meldete sich immer stärker. Wir überlegten, ob wir nicht vielleicht ins Dorf gehen sollten, um irgend etwas zu essen zu finden … dann aber tat sich doch etwas. Die meisten Gäste draußen vor der Tür … wir konnten hinausschauen … brachen allmählich auf. Na, dann würde ja auch Jannis vielleicht nach Hause wollen, dann wir dort noch etwas essen.
Warum hatten wir uns das bloß angetan?
Plötzlich tauchte Stella auf und winkte uns zu, mitzukommen. Sie führte uns an den Rand der Terrasse, an dem ein Tisch stand, der gerade gedeckt wurde. Wir sollten Platz nehmen, zusammen mit knapp zwanzig anderen Personen. Und dann wurde aufgetischt, was Küche und Keller hergaben. Wir waren dem Hungertod knapp entronnen!
Ich fragte Jannis hinterher, warum wir denn erst so spät zum Essen gebeten wurden, und erfuhren, dass wir als seine Begleitung als Familienmitglieder eingestuft worden waren. Und die Familie aß eben erst dann gemütlich im kleinen Kreis, wenn das gemeine Volk weg war. Warum hatte er uns das nicht vorher gesagt? Wieder was gelernt …
Gruß Klaus
Bild 1: Die kleine Mole in Kokkinos Pyrgos
Bild 2: Klopapier im Wind
Bild 3: Wenn das Meer etwas bewegter ist, sollte man nicht auf der Molenmauer sitzen
Bild 4: Der Linienbus
Bild 5-7: Jannis macht Faxen
Bild 8+9: In der Psistaria in Mires